Spiritual Bypassing: Warum Yoga und Aktivismus sich nicht ausschließen (dürfen)
Es ist nicht so offensichtlich, was Yoga mit Aktivismus zu tun hat – viele glauben, beides seien Gegensätze: Der friedliche Yogi hier, der ungemütliche, schreiende Demonstrierende da. Im Grunde wollen aber beide das Gleiche: Die Bedingungen in und um sich verbessern. Es gibt außerdem gute Gründe, die vermeintlichen Pole zu verbinden und eine Praxis von der anderen bereichern zu lassen.
Yoga & Aktivismus - geht das zusammen?
Ich dachte lange, wenn ich Yoga mache und meditiere, tue ich auch etwas richtig Gutes für die Welt. Das mag irgendwie wahr sein, be the change you wish to see und so, aber ganz so stimmig ist diese Perspektive mittlerweile nicht mehr. Ich mache vor allem etwas für mich selbst und muss erkennen, individuelles Wohlbefinden bedingt nicht automatisch kollektives Wohlbefinden, umgekehrt beinhaltet kollektives Wohl immer auch das aller Einzelnen. Daher ist es auch wichtig, sich für letzteres ebenso einzusetzen. Wobei wir schon beim Punkt sind:
Yoga auf der Matte ist nicht (mehr) genug. Die Welt um uns herum brennt, im übertragenen Sinne und wortwörtlich, und wir müssen aktiv Stellung beziehen, auch - und vor allem - als Yogi*nis. Stellung beziehen, nicht nur Stellungen einnehmen sozusagen.
SPIRITUAL BYPASSING
= Tendenz, spirituelle Ideen und Praktiken zu verwenden, um ungelöste emotionale Probleme, psychische Wunden und unvollendete Entwicklungsaufgaben zu umgehen oder zu vermeiden
Denn jede Industrie, jede Community und jedes Business ist aktuell in Zugzwang, ihre eigenen sozialen, politischen oder umweltbezogenen Missstände aufzudecken und aktiv etwas daran zu ändern, statt einfach weiter so zu tun, als wäre alles fein - so auch die Yoga Community.
Nur scheint das hier besonders schwierig. Jedenfalls kann man in der Yoga-, Self-Care- und Wellbeing-Bubble eine ziemliche Kopf-in-den-Sand-Mentalität beobachten, wenn es um gesellschaftlich wichtige und aktuelle Themen geht. Was paradox ist, denn gerade hier, könnte man meinen, will man ja das Bestmögliche für alle, beruht die Szene doch auf Werten wie Frieden, Verbundenheit, Liebe. Oberflächlich mag das stimmen, aber auf den zweiten Blick sieht es da schon anders aus – gerade hier gibt es nämlich jede Menge klarzustellen.
Auf der spirituellen Überholspur
Wenn der Fokus auf Transzendenz liegt, also auf dem, was heilig oder göttlich ist und man dem (zugegeben ziemlich) fehlerhaften Wesen der Menschen und der Gesellschaft einfach entkommen will, ist das nicht spirituell, sonder ignorant.
Ich habe Yogis sich für ihre politische Inaktivität rechtfertigen hören, weil sie auf einer „viel höheren Ebene“ für die Menschheit arbeiten würden. Dafür gibt es auch einen Begriff: „spiritual bypassing“ beschreibt die Idee, man könne die Probleme der Welt (und auch die eigenen) einfach weg meditieren. Konkret gemeint ist damit die Haltung, Schmerz abzulehnen und Wunden zu ignorieren, in sich selbst wie in der Gesellschaft. Alles, was unangenehm oder unschön sein könnte, wird vermieden, indem spirituelle Praktiken betrieben werden. Und das kann auch funktionieren, man wird ausgeglichen und stressresistenter. Im Anbetracht all der gigantischen Probleme der Welt, mit denen wir täglich konfrontiert werden, ist es legitim und wichtig, sich immer wieder mal vom Außen zu verabschieden und Ruhe im Inneren zu finden. Aber: dadurch ändert sich an den brennenden Urwäldern halt auch nichts.
Es wirkt, als würde es manche Probleme in der Yoga Welt nicht geben (dürfen), so als sei diese die eine, die Welt „da draußen“ eine andere, die einfach nicht wahrgenommen wird.
Das wird zum Beispiel auch an Sätzen wie „We are all one (human race)“, die in spirituellen Kreisen kursieren, erkennbar. Solche abgedroschenen Phrasen wirkten während der Black Lives Matter Bewegung der letzten Monate plötzlich enttarnend ignorant: Die Message klingt ja nett, und während sie bezogen auf unsere Gene auch wirklich stimmt (es gibt biologisch keine menschlichen Rassen), werden damit unangenehme Wahrheiten umgangen und BIPOC werden ihre spezifischen Erfahrungen mit Rassismus aberkannt.
Es geht im Yoga auch nicht darum, sich aus der Welt zurückzuziehen, zumindest nicht dauerhaft. Die Lebensrealität der meisten Praktizierenden hat nicht mehr viel mit der der Yogis in den Höhlen im Himalaya zu tun und die Praxis selbst by the way auch nicht: Sie wurde immer wieder verändert, damit sie zum modernen Alltag passt. Dann können wir auch gleich die Interpretation des ethischen Kerns der Philosophie daran anpassen, ohne den Grundgedanken kaputt zu machen.
Es ist wichtig, dass wir uns in allen Kontexten unseres Lebens klar positionieren.
Peaceful Warrior
Das Studio, der Instagram Account, die Gruppe von Menschen, mit denen wir praktizieren: Das sind eigene Welten, kleine Ausschnitte der Gesamtgesellschaft und daher gute Orte, um anzufangen, Dinge zu verbessern: Von innen nach außen, vom Kleinen ins Große – wer Yoga macht, kennt das. Wir als Individuen sind zwar ein eigener kleiner Kosmos, aber als dieser immer auch Teil des großen Ganzen – dessen, was im Yoga der Macrokosmos genannt wird. Gemeint ist damit wirklich der gesamte Kosmos, aber wir können uns auch erst Mal als Teil einer Gesellschaft verstehen, zu der wir auch dazu gehören, auch wenn sie uns nicht gefällt.
Wir müssen uns also Gedanken machen, wie wirklich in allen Lebensbereichen zum Warrior werden, den wir praktizieren. Aber darf man als Yogi*ni überhaupt kämpfen?
Ein moralisches Prinzip der Yoga Philosophie heißt Ahimsa - wörtlich das Nicht-Verletzen bzw. die Gewaltlosigkeit. Ahimsa ist aber keine Ausrede für Inaktivität: Für Gerechtigkeit und Frieden zu kämpfen bricht dieses Prinzip jedenfalls nicht, Zurückhaltung ist nicht immer der friedlichere Weg. Ahimsa sollte auch bedeuten, sich bewusst gegen jene zu stellen, die Gewalt ausüben.
Yoga ist politisch
Yoga bedeutet eigentlich, dass alles eins ist. Nichts wird ausgeschlossen, alles, was wir wahrnehmen können, gehört miteinbezogen. Ein spirituelles Leben und Aktivismus sollten also keine Gegensätze sein. Die Konditionen zu verbessern, sei es für uns selbst oder für den Planeten, ist der zentrale Punkt von beidem. Wahre spirituelle Arbeit ist doch, auch die unangenehmen Dinge miteinzubeziehen und von ihnen zu lernen.
Yoga, wie wir es heute kennen, ist sogar explizit politisch und muss es auch sein, wie die Yogini @theyogadissident auf Instagram bemerkt: Hochaktuelle Themen wie Kapitalismus, Kolonialismus, Gender, Hautfarben, Privilegien, Zugang oder kulturelle Aneingung spielen alle eine Rolle im modernen Yoga.
Ein Anfang wäre beispielsweise, sich Gedanken über die koloniale Vergangenheit der Länder zu machen, in denen wir heute leben und praktizieren. Wir können recherchieren, wo Yoga überhaupt herkommt und uns bewusst machen, dass wir uns die Techniken angeeignet haben, ohne zu fragen, und oft ohne Wertschätzung für die Herkunftsländer und -kulturen.
Schon deshalb muss die Praxis weiter gehen, als zu unseren Zehenspitzen und auch aktives Engagement beinhalten. „Engaged Yoga“ nennt @theyogadissident das – eine Anlehnung an den Begriff des „Engaged Buddhism“, den der buddhistische Lehrer Thich Nhat Hanh schon in den 70ern während des Vietnam Krieges eingeführt hat: Damals rief er die buddhistische Gemeinde dazu auf, sich aktiv gegen den Krieg zu positionieren und demonstrieren zu gehen. Es gibt noch andere historische Beispiele, die mit dem Klischee der friedlichen, zurückgezogenen Yogi*nis brechen. In alten Schriften gibt es immer wieder Verbindungen zu Kämpfen und Krieg. Es gibt sogar Belege für militärische Yogi-Kampftruppen.
Der Gedanke ist nicht blöd: Die Praxis macht uns körperlich und mental stärker - Voraussetzungen, die man als auch als Aktivist*in brauchen kann. Heute können wir uns so zum Beispiel für Demos oder unangenehme Gespräche vorbereiten, die meistens ziemlich anstrengend sind: Eine Meditationssession kann helfen, um Erdung zu finden, Kräfte zu bündeln oder sich danach zu erholen. Ein erschöpfer Mensch kann sich jedenfalls kaum für andere oder für das große Ganze einsetzen, wie auch die Klimabewegung Extinction Rebellion weiß: „Regenerative Praktiken“ wie Achtsamkeit, Meditation und emotionale Check-Ins sind zentrale Bestandteile der Organisation, um die Resilienz der Aktivist*innen zu steigern.
Ego out, Karma in
Wahres Healing auf allen Ebenen bedeutet nicht, sich ein Räucherstäbchen anzuzünden, sondern beinhaltet tiefe emotionale Arbeit und Selbstreflexion.
Wer Yoga praktiziert, hat auch Interesse daran, das eigene Ego wirklich herauszufordern. Das kann so viel mehr sein als zu akzeptieren, dass man eine Position während der Klasse einfach nicht schafft: Wie wärs, wenn wir zum Beispiel versuchen, uns auf unangenehme Gespräche mit offenen Ohren und Herzen einzulassen, bei denen es nicht um uns selbst geht, sondern um andere? Wenn wir aktiv versuchen, die Bedingungen um uns herum, vor allem für benachteiligte Gruppen, zu verbessern? Der selbstlose Einsatz für andere kann an sich auch als spirituelle Praxis gesehen werden: Im Karma Yoga geht es genau darum. Übersetzt wird das auch häufig mit „Yoga of Action“ - direkt angewandte Yoga Philosophie also.
Die Verabschiedung vom eigenen Ego erleichtert jedenfalls aktivistische Arbeit und hilft, wenn wir uns in einer Thematik wie Rassismus weiterbilden und dabei immer wieder riskieren, Fehler zu machen.
Aktive politsche Partizipation gehört zum bewussten Leben dazu und hat mit Verantwortung zu tun: Sich selbst und dem Ganzen, von dem man Teil ist, gegenüber. Yoga war sowieso nie für Menschen gedacht, die sich nicht weiterentwickeln wollen.
Hier ein paar Organisationen aus Österreich, die man unterstützen kann:
Zara - Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit
Instagram Accounts, die sich mit Themen wie Equality und Aktivismus im Zusammenhang mit Yoga, Wellness und Spiritualität beschäftigen: