Polyvagal Theorie: dein Nervensystem 2.0 verstehen (statt zu hustlen oder zu prokrastinieren)
Die Polyvagaltheorie einfach erklärt: sie unterteilt das Nervensystem nicht nur in Sympathikus und Parasympathikus. Sondern der Parasympathikus wird noch einmal in drei Teile unterteilt. So kann Neurowissenschaftler Stephen Porges endlich erklären, warum wir in Prokrastination und Schockstarre verfallen. Und uns sofort zuhause fühlen, wenn wir unsere Liebsten sehen.
Egal, ob du gerade im DOOOOIIIINNNNG-Stressmodus des Sympathikus steckst oder einfach schon seit Tagen nix gebacken bekommst - hier findest du alles einfach erklärt und Ideen und Übungen die laut Polyvagal Theorie helfen, dein Nervensystem zu regulieren.
Und don’t worry - we don’t tell anyone “to just calm down”
Inhaltsverzeichnis
*Dieser Artikel ersetzt keine Therapie, individuelle Beratung oder medizinischen Rat. Er dient dir lediglich zur Informationsgrundlage, nicht zur Selbstdiagnose.
Nervensystem und unsere Psyche verstehen
Hast du bestimmt schon öfter gehört: Dein Nervensystem ist ein sehr altes System. Es hat das Update zu Apple Ventura und Windows 11 leider verpasst.
So schießt es im Alltag mit Kanonen auf Spatzen.
Es hat keine Ahnung, dass du wegen einer E-Mail oder einem Gespräch nervös bist und nicht, weil ein gefährliches Tier vor dir steht. Dass Toilettenpapier, Mehl und Öl ASAP nachproduziert werden und wir nicht auf die nächste Hungerperiode zusteuern.
Aber she’s your personal life defender. Dein Nervensystem will nur das Beste für dich: dein Überleben. Und das sichert es, ohne dass du einen Gedanken daran verschwenden musst. Kein Scherz.
Natürlich ist es uncool eine Panikattacke beim Weihnachtsshopping zu spüren, immer bei wichtigen Terminen kalte Schweißhände zu bekommen oder in tiefe Prokrastination zu verfallen, wenn wir 99 Problems haben.
Warum reagiert der Körper so? Er unterliegt deinem Nervensystem. Und das strebt immer nach einem “Gefühl von Sicherheit”. No. Matter. What.
Und hat da so einige Tricks auf Lager. Denn das Nervensystem kann sich an deinem logischen Verstand einfach vorbeischmuggeln. Es sendet Signale, die schneller sind als deine Gedanken und dein Körper führt sie aus.
Die gute Nachricht: wir können trainieren, dass unser Nervensystem in einer stressigen Situation schnell das “Gefühl von Sicherheit” spürt.
Das nennt man Resilienz - dein Freund und Helfer in Sachen Coping.
Stress tut uns gut
Auch wenn das Wort Stress sehr negativ behaftet ist - im eigentlichen Sinne ist er gut für dein Nervensystem, wenn es intakt ist. Stress ist erst mal ein Einfluss von Außen, der dein Nervensystem stimuliert. Dafür ist es ja auch gemacht!
Stress ist aber ein Problem, wenn er chronisch unseren Körper fordert. Die Natur sieht für uns Lebewesen vor, dass wir zwischen Stress und Ruhe hin und herpendeln. Dabei sollten die Ruhephasen aber immer länger sein als die Stressphasen.
Kleiner Zwischen-Check: ist das bei dir der Fall?
Warum wir dann alle unter Stress leiden
Besonders in den letzten Jahren Pandemie haben wir alle die nagende Unsicherheit und Vorhersehbarkeit der Zukunft gespürt. Das hat uns Menschen als Kollektiv geprägt, aber nicht jeden gleichermaßen stark. Wenn du vorher schon kleinere oder größere Traumata von Mangel, Hunger, Krankheit, Essstörungen oder Geldsorgen erlebt hast, hat dich diese Zeit wahrscheinlich anders geprägt als andere.
Die Gefahr / den Stress spürt dein Körper über Körper- und Sinnesempfindungen, die schneller sind als deine Gedanken und kategorisiert sie in Stress oder Kein-Stress. Und das können wir mit Logik nicht beeinflussen. Teilweise ist der Stress auch eine Entzündung im Körper, Luftverschmutzung, Toxine oder der ständige Einfluss von Licht und Geräuschen, die dich unterbewusst stressen.
Die Krux an der Sache ist die, dass eben unsere Erholungsphasen immer kürzer werden. Der Wechsel von Stress zu Entspannung funktioniert aber wie ein Muskel. Wenn wir den Wechsel immer seltener vollziehen, brauchen wir immer länger, um zu entspannen. Unser Muskel wird schwach. Aber wie wir alle in den unzähligen Homeworkouts der Pandemie lernen durften: Muskeln lassen sich trainieren & stärken.
Zeichen für ein ausgeglichenes Nervensystem
Klingt vielleicht erst mal komisch, aber woran erkennst du denn, dass dein Nervensystem voll funktioniert? Wir haben heute einfach kaum mehr so richtig lange entspannte Phasen, in denen wir einen guten Status Quo halten können, in dem wir uns nicht gestresst fühlen, right?
Qualitativ guter Schlaf
Genug Energie für den Tag
Positive Einstellung zum Leben
Körper regeneriert sich schnell (nach Stress wie Krankheit, Sport, traurigen Ereignissen…)
Gute Verdauung
regelmäßige Menstruation (gotcha, ha?!)
Resilienz: Du findest nach stressigen Phasen schnell wieder in Ruhe zurück
Hier geht es nicht darum toxisch positiv durch die Welt zu hüpfen und Regenbögen zu pupsen. Es geht mehr um eine volle Funktionstüchtigkeit deines gesamten Körpersystems mit genug Kapazität für stressige Phasen.
Nervensystem: ZNS, PNS, somatisch, vegetativ, … Was ist was?
Unser Nervensystem teilen Wissenschaftler in Zentrales (ZNS) und Peripheres (PNS) Nervensystem aufgeteilt. Das ZNS sind Gehirn und Rückenmark. Alle anderen Nervenstränge sind das PNS.
Man unterscheidet zwei Typen an Nervensystem: das somatisch und das vegetative Nervensystem.
Mit dem somatischen Nervensystem steuerst du bewusst all deine Bewegungen. Das vegetative Nervensystem läuft unbewusst im Hintergrund ab und kümmert sich um Reflexbewegungen, Organe, Atmung und Körpertemperatur.
Polyvagal Theorie einfach erklärt
Bisher wurde dann das vegetative Nervensystem in 2 Teile unterteilt (you guessed it): Parasympathikus und Sympathikus. Der Parasympathikus ist der gechillte Ruhenerv, der Sympathikus der geschäftige Stressnerv.
Der Parasympathikus, dämpft den Stresspegel und hilft dem Körper, sich zu entspannen und wieder zur Ruhe zu kommen (z.B. verlangsamte Atmung & Herzschlag, Verdauung und Genitalien werden durchblutet). #SundayMorningFeels = “Rest & Digest”.
Das sympathische Nervensystem bewirkt eine Steigerung der Leistungsfähigkeit & tritt bei Anspannung und körperlicher Aktivität an den Tag (Bewältigung von bedrohlichen Situation, schnellere Atmung, Orgasmus). #HIITWorkout = “Fight or Flight”
Und jetzt:
Stephen Porges unterteilt den Parasympathikus in der Polyvagaltheorie in 3 weitere Systeme. Denn der Parasympathikus reagiert ebenfalls auf Angst. Nur eben nicht mit Flucht (Sympathikus), sondern mit scheinbarer Ruhe und Nichtstun. Das sieht nach außen vielleicht gechillt aus, aber in dir drin bist du erstarrt.
3 Teile des Parasympathikus nach Stephen Porges
Der Parasympathikus ist für Stephen Porges noch immer der Ruhenerv. Aber unterschiedliche Arten der Ruhe.
Dorsal Vagus (High Tone) → Fawn or Freeze-Response
Kennst du das? Du bist in einen Streit verwickelt und auf einmal findest du deine Worte nicht mehr. Starr stehst du da und reißt die Augen auf (= fawn = Bambimodus).
Oder: Kurz vor einer Deadline häufen sich deine To-Do’s und statt in den Doing-Modus zu switchen und zu hustlen gibst du auf vor Erschöpfung und fällst in depressive Gedankenschleifen.
I bim’s, dein Vagus-Nerv! Zuständig für:
Fawn = Suche nach Bindung & Beschwichtigung
Freeze = Starre/Immobilisation
Hypoarousal (nichts mehr fühlen)
Schock, Resignation
Erschöpfung, Depression
Blackout
Folge von Trauma
eventuell auch CFS (Chronic Fatique Syndrome – chronisches Erschöpfungssyndrom) mit Brainfog
2. Dorsal Vagus (Low Tone) → Rest & Digest
Stellt sich ein, wenn du gerade keine Angst hast, sondern ganz in Ruhe ein Buch liest, auf Netflix Taylor Tomlinsen schaust oder in Savasana liegst.
Rest & Digest
Verdauung, Entspannung
Regeneration
3. Ventral Vagus → Social Engagement
Dieser Teil des Parasympathikus ist aktiv, wenn du dich mit Menschen umgibst, bei denen du dich sicher fühlst. Das können deine besten Freunde sein oder Menschen, mit denen du ein Hobby teilst. Jemand, bei dem du dich völlig wie du selbst geben kannst.
Soziale Verbundenheit
Kommunikation
Augenkontakt
Wechselbad von Sympathikus und Parasympathikus
Was Porges auch vermutet: wir können zwischen Parasympathikus und Sympathikus hin und her wechseln. Du kannst Fliehen und dann in Starre fallen, dann wieder fliehen etc.
Früher konnten diese Reaktionen dein Überleben sichern: keinen Mucks machen, wenn ein gefährliches Tier da steht oder tot stellen, bzw. sicherstellen, dass dein Stamm dich noch immer lieb hat.
So läuft es also im Körper an:
Erreicht dich Stress und du chillst gerade im Ventral Vagus, traust du dich nach Hilfe zu fragen. Wenn du im Sympathikus bist, möchtest du lieber fliehen oder kämpfen, weil Kooperation gerade keinen Sinn ergibt. Wenn auch das nicht funktional scheint, schaltet sich dein Dorsal Vagus (High Tone) an und lässt dich erstarren. Du hast ein Blackout.
Tools & Übungen nach der Polyvagal Theorie um dein Nervensystem zu stärken
Wir wollen also trainieren, möglichst schnell zwischen unseren Nervensystemem hin- und her zu wechseln. Dafür ist es super, das Modell von Porges zu Hilfe zu nehmen.
Steckst du gerade im Sympathikus oder im Dorsal Vagus (High Tone)? Fight or Flight oder Freeze or Fawn?
Denn je nachdem, wo du dich gerade befindest, brauchst du andere Coping Mechanisms, um dich in einen Ruhezustand zurück zu versetzen.
Von Sympathikus in Dorsal Vagus (Low Tone)
Hier brauchst du etwas, das dich runterbringt und beruhigt.
Atemübungen (Faustregel: länger ausatmen als einatmen)
Singen, Summen, Seufzen, Gähnen
EFT, Akupressur am Ohr oder Hand
Meditieren
Spazieren: die rhythmische Links-Rechts-Bewegung plus Natur beruhigen dich
Musik und Mantren wie in unserer Playlist
White Noise (Radiorauschen), Pink Noise (Regen, Ozean)
einen Stein o.Ä. anfassen, der dich erdet und an schöne Zeiten erinnert
Affirmationen, die dir wirklich was bedeuten auf Post It Notes, Prints an der Wand oder am Handy
CBD Öl oder Treats (zB über Princess Stardust (-20% mit Code “matcha20”))
Nervenkräuter wie Haferkraut, Melisse etc.
Auf dem Rücken liegen oder an der Wand lehnen. Hinterkopf, beide Schultern und Becken müssen die Verbindung zum Boden / der Wand spüren
Auf dem Rücken liegen, Beine an der Wand hochlegen. Bonus: ein Bolster/Sandsack oder schweres Kissen auf’s Becken legen.
Kein intensives Training: auch wenn du dich nach rennen fühlst, übertreib es nicht. Statt dich auszupowern kann das auch in Überstressen (Overtraining) deines Körpers enden, sodass deine Hormonproduktion eingestellt wird.
regelmäßige Mahlzeiten (don’t cut carbs!)
entspannende Bäder (mit duftendem Badetee (-10% Rabatt mit Code MATCHA10 bei Soulbath))
Von Sympathikus oder Dorsal Vagus (High Tone) zu Ventral Vagus
Wenn du dich allein fühlst und mehr Verbundenheit spüren willst:
mit anderen gemeinsam singen
mit Menschen Zeit verbringen, mit denen man sich sicher fühlt
freundliche Stimmen & Mimik
Von Dorsal Vagus (High Tone) zu Dorsal (Low Tone)
Du bist in Schockstarre oder suchst ständig Rückbestätigung.
Jetzt darfst du dein System wieder sanft anstupsen, um in einen normal aktiven Zustand zu kommen. Nicht zu übermäßig in Doing-Mode (Überlastung), da das dein System komplett überfordern würde. Wir wollen den Stresspegel nur langsam anheben. Sei nicht enttäuscht, wenn es nicht gleich funktioniert. Aus der Schockstarre in Entspannung zu finden braucht Zeit und Geduld.
Uplifting Musik und Mantren wie in dieser Playlist
Dich sanft zur Musik schaukeln und bewegen
Brown Noise (Gewitter, Wasserfall)
Bewegung wie Yoga oder ein laaaangsamer Spaziergang. Du bist gerade in der Arbeit? Es hilft auch, sich die Bewegung intensiv im Kopf vorzustellen.
aufstehen und im Raum rumlaufen, eine neue Perspektive einnehmen
Dir vorstellen, dass gerade Menschen an dich denken und um dich sind. Dir vorstellen, dass du jemandem eine Nachricht schreibst wie es dir geht. Du muss das nicht wirklich tun, wenn’s zu viel ist.
aus dem Fenster schauen, um mehr zu sehen als deinen inneren Kopf Käfig
Sonne/Licht tanken vor 10 Uhr
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Adaptogene, Vitamine & Supplemente für einen gefüllten Nährstoffhaushalt (-10% bei Sunday Naturals mit “MATCHAMORNINGS10”)
Dabei ist es wichtig zu sagen, dass sehr unterschiedliche Methoden bei uns einzelnen Menschen funktionieren. Wenn du mal zu hören bekommen hast, dass du schräg singst, ist Mantrensingen vielleicht nicht dein Ding. Du magst nicht in ein Yoga Studio mit fremden Menschen gehen, die deine Tränen sehen könnten? Bleib zu Hause. Wenn White Noise deinen Tinnitus zum schallen bringt, such dir was anderes aus. You do you!
Wie du dein Nervensystem zu Resilienz trainierst
Wie gesagt: unser Nervensystem kann mit Phasen von Stress gut umgehen, wenn der normale Status-Quo stressfrei ist. Wenn du dich wieder zurückreguliert hast und dich über eine längere Zeit hinweg stabil fühlst, kannst du beginnen dein Nervensystem zu trainieren.
Sprich: schneller von Stressmomenten wieder in Ruhe zurückzufinden. Die Entspannung sollte aber immer länger sein als der Stress.
Du setzt dich kurzen Stressmomenten aus und hängst anschließend eine beruhigende Übung an.
Eisbaden mit Breathwork
Psychedelic Breath Sessions
Höhenangst in Angriff nehmen (Klettern etc.)
Trainingsplan steigern (mehr Wiederholungen, bessere Zeit, mehr Gewicht oder weniger Pausen…)
Handstandtraining (zB bei der Plattform Movingroom, mit “MATCHA10” -10% Rabatt + 7 Tage gratis.*)
Kritik an Polyvagal Theorie von Stephen Porges
In der Wissenschaft ist man sich wie gesagt nicht ganz sicher, ob das Modell so stimmt wie der Neurowissenschaftler Stephen Porges es aufgestellt hat. Nach wie vor sind ja in der Wissenschaft letztendlich alles nur Erklärungsversuche, um uns Menschen zu verstehen.
Wenn man sich genauer mit der Kritik beschäftigt, steigt man als Nicht-Neurowissenschaftler:in schnell aus. Wahrscheinlich darf diese Theorie einfach noch reifen, ausgebaut werden und wachsen. Indes wird es aber niemandem weh tun, die oben erklärten Tools und Coping Mechanisms zu nutzen.
Zusammenfassung der Polyvagal Theorie
Nervensystem wird in Parasympathikus (Ruhe) und Sympathikus (Fight & Flight) unterteilt
Nervensystem sichert Überleben, indem es schnell zwischen den verschiedenen Modi wechselt, ohne dass wir darüber nachdenken müssen.
Parasympathikus kann noch mal in 3 Teile unterteilt werden. Alle sehen nach außen nach Ruhe aus:
Dorsal Vagus (High Tone): Schockstarre, Müdigkeit oder Suche nach Bestätigung
Dorsal Vagus (Low Tone): Verdauung, Entspannung
Ventral Vagus: Geselligkeit, Zugehörigkeit
Stress ist prinzipiell gut. Nur nicht chronisch und somit sollten Ruhephasen immer länger sein als Stressphasen.
Wir können mit Tools aktiv zwischen den verschiedenen Teilen hin und her switchen und Resilienz trainieren. Wichtig ist, die richtigen Tools für sich zu finden
Selten war ein Akronym so passend, wie dieses: die „seasonal affective disorder“, kurz SAD, beschreibt eine depressive Verstimmung oder Depression, die jährlich zu einer bestimmten Jahreszeit wiederkehrt.
Meistens ist damit die Herbst- und Winterdepression gemeint, die auftritt, wenn es in unseren Breitengraden dunkler und kälter wird, und im Frühling wieder abklingt.