Nora ist Psychologin & Yogalehrerin. (Fotos: @lotte.thor)

Menstrual Cycle Awareness: Zyklen der Natur

Der Sommer neigt sich überraschend schnell dem Ende zu. Ich spüre frische Windzüge und genieße es, mich in Pullover und Decken einzumummeln. Der Übergang von Sommer zu Herbst ist meine Lieblingszeit im Jahreszyklus. Ich spüre eine tiefe Melancholie, die keineswegs einer Trauer oder Depression gleicht, sondern die Vergänglichkeit des Jahres und somit von Zeit symbolisiert.

Vergänglichkeit ist hier nicht ganz eindeutig definiert. Denn ja, ich spüre, dass die Zeit vergeht. Aber ich weiß auch, dass nun der Winter kommt auf welchen ein Frühling folgt. Und bevor ich mich versehe, liege ich wieder auf einer Wiese in der Sommerhitze und lasse das Gras meine Füße kitzeln.

Mit den Jahreszeiten aufzuwachsen ist ein wunderschönes Geschenk. Sie bringen uns bei, das nichts so bleibt wie es ist und doch alles wiederkommt. Es wird nie wieder diesen Sommer geben (den Sommer 2020 wünschen wir uns alle sowieso nicht zurück), aber es wird wieder einen Sommer geben.

Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind Jahreszeiten, mit denen wir bestimmte Qualitäten verbinden. So steht der Frühling für den Neubeginn, für das ‘sich verlieben’, für Kuriosität und Aufbruch. Der Sommer ist die Zeit der Expressivität, wir sind draußen, unternehmen viel und sind sozial (wenn nicht gerade auf sozialer Distanz). Im Herbst halten wir Einkehr, wir müssen den Übergang vom ‘draußen’ ins ‘drinnen’ meistern und uns auf die kalte Jahreszeit vorbereiten. Der Winter ist eine Zeit der Reflexion.

Die Jahreszeiten geben uns einen bestimmten Rahmen, in dem wir agieren und gleichzeitig bietet sich uns jedes Jahr die Chance, die Qualitäten, Vorzüge und auch Herausforderungen der Jahreszeiten aufs neue zu Erkunden und uns ihre guten Seiten zu eigen zu machen.

Von den Jahreszeiten können wir die Grundprinzipien von Zyklen ableiten:

Nichts steht still, alles ist stets in Veränderung.
Wir kommen im nächsten Zyklus wieder an denselben Punkt, an welchem wir in allen vergangenen Zyklen standen und haben so immer wieder aufs Neue die Chance, Gelerntes einfließen zu lassen.
Der Zeitpunkt des Zykluses in dem wir uns befinden, schafft die Rahmenbedingungen für Möglichkeiten und Herausforderungen vor die wir gestellt sind.
Zyklen sind stets archetypisch. Wir müssen nicht eins zu eins in eine Schablone passen, sondern können den Zyklus als Orientierungshilfe für unsere individuelle Zyklizität sehen.

Deine Inneren Jahreszeiten

Die inneren Jahreszeiten sind, so, wie der Via Positiva und der Via Negativa (lies mehr dazu in meinem letzten Artikel) als Orientierungshilfen für deinen Menstruationszyklus gedacht. Hierbei geht es nicht darum, an einem ganz bestimmten Tag in einer ganz bestimmten inneren Jahreszeit zu sein (Achtung, hier schleicht sich gern wieder der Zwang der Produktivität und ein unrealistischer Perfektionsanspruch ein), sondern darum, eine Sprache für deinen Menstruationszyklus zu schaffen.

Denn nur, wenn du Worte für deine Gefühle und dein persönliches Erleben findest, kannst du dich deiner Umwelt mitteilen. Wir fühlen uns oft frustriert, weil unsere Welt scheinbar keine Rücksicht auf unsere Bedürfnisse nimmt. Oft merke ich aber - wenn ich meine Bedürfnisse klar kommuniziere und mir Raum und Rücksicht einfordere, dann bekomme ich das auch. Das eigentliche Problem ist der Mangel an Vokabular, welches wir nicht von unseren Müttern und Großmüttern mitbekommen. Weil diese es auch nicht kennen. Und weil diese auch weder Raum noch Rücksicht einfordern konnten. Wir können und müssen das aber. Es ist an der Zeit. Es gibt genug Raum, Zeit und Sisterhood für dich, um dein Leben im Einklang mit deinem Menstruationszyklus zu leben.

Dafür ist es hilfreich deinen Zyklus, sowie das Jahr, in Jahreszeiten zu betrachten. Du hast einen inneren Winter, Frühling, Sommer und Herbst. Genauso wie die Jahreszeiten ein bestimmtes Setting herstellen, befinden sich Körper und Psyche in einem unterschiedlichen Setting auf welches es sich einzulassen gilt.

Innerer Winter (ca. Tag 27 - Tag 5)

Innerer Winter

Innerer Frühling

Innerer Sommer

Innerer Herbst

Die Menstruation umfasst sowohl Ende als auch Anfang deines Zykluses

Natürliche Kräfte: Loslassen, Innerlichkeit, Präsenz, Stille, Bewusstseinserweiterung, Reinigung, Heilung, Akzeptanz, Vergebung, (Selbst-)Liebe empfangen, Intimität, Einheit, Ekstase, Vision, innere Führung, den Samen pflanzen.

Herausforderungen: Raum für dich beanspruchen, loslassen und ausruhen, dich pflegen.

Innerer Frühling (ca. Tag 6 bis Tag 11)

Natürliche Kräfte: Zärtlichkeit, Unschuld, Neugier, Verspieltheit, Phantasie, endlose Möglichkeiten, aufsteigende Energie/Leben, Begehren - sexuell und emotional, Fokus, Motivation, Enthusiasmus, Durchsetzungsvermögen.

Herausforderungen: Experimentieren und spielen, Risiken eingehen.

Innerer Sommer (ca. Tag 12 bis Tag 19)

Höhepunkt deiner Energie

Natürliche Kräfte: nach Außen gerichtet sein, andere lieben, Sichtbarkeit, Optimismus, Verantwortung übernehmen, Bewältigung, hohe Energie, Charme, Anziehungskraft, Großzügigkeit, Diplomatie, im Flow sein, Erlauben, Dankbarkeit, Vergnügen.

Herausforderungen: den Fuß von der Bremse nehmen, sich zeigen, Projekte vorantreiben, Dinge mit Freude und Vergnügen tun.

Innerer Herbst (ca. Tag 20 - Tag 26)

Prämenstruum

Natürliche Kräfte: Einsicht, "Nein" sagen, die innere Kritikerin, die Spannung halten, Provokation, die Wahrheit sagen, Vollendung, Kanalisieren, sich verlieren, sich treiben lassen, Verantwortung aufgeben.

Herausforderungen: Sich selbst ins Gesicht sehen, der inneren Kritikerin begegnen, präsent sein, Unterscheiden können.

Was kannst du tun?

Das Prinzip von MCA ist vor allem auf Achtsamkeit gestützt. Es geht also nicht darum, deinen Körper zu verändern oder zu manipulieren. Es geht darum, aufmerksam zu beobachten. Denn was du beobachtest, das verstehst du. Und wenn du etwas verstehst, so gibt es dir deine Macht zurück. Macht, die schon immer bei dir lag, sie war dir nur nicht bewusst.

Was beinhaltet diese Macht? Wie Alexandra Pope und Sjanie Hugo Wurlitzer von der Red School so wunderschön formuliert haben: Es geht hier nicht um eine ‘Macht über’ etwas, sondern um eine ‘Macht mit…’. Du stehst in deiner eigenen Energie und Kraft und kannst dein facettenreiches Erleben zelebrieren. Du kannst dich befreien von dem Druck immer expressiv und funktionsfähig sein zu müssen (innerer Sommer), denn du weißt, dass es nicht nur eine Jahreszeit gibt.

Diese Praxis befähigt dich, das volle Spektrum des Lebens wahrzunehmen, nicht nur die Aspekte, welche für die westliche Wirtschaft von Nutzen sind. Und das beste daran: andere Frauen werden sehen, wie du dir den Raum, die Zeit und den Respekt einforderst, der dir zusteht. Sie werden sehen, wie du zur Kämpferin wirst, deren Kinder und Enkelkinder ein gesundes Verhältnis zu ihrem eigenen Blut und zur Zyklizität finden können. Und diese Frauen werden deiner Inspiration folgen. Das ist Sisterhood. Mach den ersten Schritt.

Die Basics von Menstrual Cycle Awareness #2

(für die Basics von Menstrual Cycle Awareness #1 lies hier, diese Liste ist um die inneren Jahreszeiten ergänzt worden)

Mache dir jeden Tag in deinem Tagebuch bewusst, in welcher inneren Jahreszeit du dich gerade befindest.
Reflektiere, wie sich die Qualitäten von innerer Jahreszeit zu innerer Jahreszeit verändern.
Innerer Winter: Markiere deine Menstruation in deinem Tagebuch, finde einen Weg, diese Zeit für dich besonders zu gestalten (zünde eine Kerze an, trage ein bestimmtes Schmuckstück etc.), nimm dir Zeit zum Ausruhen und Nichtstun, bewege dich langsam
Innerer Frühling: Gib dir selbst die Erlaubnis, langsam aus der Zeit deiner Menstruation herauszukommen, Träume vom Unmöglichen, ohne dass dir die Rationalität in die Quere kommt, mach Raum für Spontanität und Spiel.
Innerer Sommer: Mach bewusst eine Pause und frag dich, wofür du diese Energie einsetzen willst - lege dich fest, nimm den Fuß von der Bremse, verwöhne deine Sinne und genieß was du tust.
Innerer Herbst: halte absichtlich Inne und finde Aspekte an die, die du anerkennen und feiern kannst, gehe etwas langsamer und aufmerksamer durchs Leben, sag öfter “Nein".

10-min. Flows für die inneren Jahreszeiten

Innerer Winter - SOOTHE & REPAIR

Rocking & Twisting Mermaid

Deer Exercise

Deer Exercise. Eine alte Daoistische Tradition, welche unter anderem Spannungen in der Brust löst und eine wunderbare Praxis zur Selbstliebe ist. (mind. 36 Kreise)

Rocking und Twisting Mermaid. Je 14x auf jeder Seite.

Balasana. Erde dich über 15 tiefe Atemzüge - Lass los.

Sukhasana. Nimm deinem Meditationssitz ein und bringe deine Aufmerksamkeit zu Gebärmutter und Yoni. Spüre die Qualität deines inneren Winters.

Savasana. Solange du es brauchst, aber mindestens 3 Minuten.

Innerer Frühling - INNOCENT BEGINNER

Chakravakasana. Bring Bewegung in die Wirbelsäule für 10 Atemzüge.

Anjaneyasana. Öffne dein Herz und vertraue in dich selbst, 5 Atemzüge pro Seite.

Setu Bandhasana. Finde neue Perspektiven. 10 Atemzüge dynamisch, 10 Atemzüge halten.

Sukhasana. Nimm deinem Meditationssitz ein und bringe deine Aufmerksamkeit zu Gebärmutter und Yoni. Spüre die Qualität deines inneren Frühlings.

Savasana. Solange du es brauchst, aber mindestens 3 Minuten.

Innerer Sommer - EXPRESS YOURSELF

Surya Namaskar. Zelebriere die Union von Atem und Bewegung. 12 Runden aus einer Mischung von Surya Namaskar klassisch, A und B.