Vera Steinhäuser Transkript

I: Wie startest du in den Tag?

B: Da gibt es sehr unterschiedliche Arten. Mein Idealtag: der beginnt, wenn ich es schaffe ihn zu haben, mit Zeit für mich, wo ich meditiere, Yoga mache. Das Realszenario das vermutlich wesentlich öfter eintritt, ist vermutlich, dass wir einfach aus den Federn springen, frühstücken, ich meinen Sohn fertig für die Schule mache und ihn auch dementsprechend anfeuere, ich komme mir immer wie ein Cheerleader vor, und er irgendwann endlich aus der Tür ist, dann geht es an die Arbeit. Dann driftet das vom Ideal schnell ins Reale ab. Oft gelingt es aber dann, wenn er in der Schule ist, dass ich noch ein bisschen Zeit für mich habe wenn die Termine dann nicht gleich losgehen sondern wenn dann noch ein bisschen eine Break ist, das nutze ich dann auch. Ich merke schon: diese kleine Investition an Zeit macht sich megamäßig bezahlt. Wann ich beginne, hängt davon ab wie ich das mit meinen Terminen gestalten kann. Zu mir kommen viele Coaches, die sich im Begriff sind zu verändern – sie kommen nicht offiziell vom Arbeitgeber, deswegen ist es bei denen auch nicht bekannt, die brauchen logischerweise Randtermine. Die können dann nicht innerhalb der Arbeitszeit vorbeikommen, das ist häufig in der Früh. Das könnte durchaus um halb 8, 8 starten. Gibt es auch. Aber sonst starte ich irgendwann zwischen 9 und 10. Es gibt viele Vorteile, wenn man selbständig ist – die muss man kultivieren.

I: Du kommst aus der Werbung, mittlerweile bist du Coach. Kannst du deinen Weg skizzieren?

B: Ich war viele Jahre in der Werbung. Für mich war das ein recht spannender Weg: ich habe Psychologie und Kommunikationswissenschaften studiert und wollte damals immer schon wirklich in die Werbung. Das war der große Traum, den ich dann viele Jahre sehr erfolgreich umsetzen konnte. Ich habe schon sehr früh begonnen, meinen Fokus auf die digitale Kommunikation zu setzen oder mich dorthinzuentwickeln. Ich hatte eine sehr schnelle Karriere und extrem früh Führungsverantwortung. Das bringt mir heute sehr viel, dass ich da selbst in dieser Situation war. Ich mache auch viel Leadership-coaching. Ich weiß also wirklich, welche Themen für meine Coachees relevant sind. Nach vielen Jahren in der Werbung habe ich mich dann irgendwann selbständig gemacht, das war dann auch sehr klassisch nach der Babypause, ich habe beschlossen, nicht mehr zurück in den großen Apparat zu gehen, das war auch der richtige Zeitpunkt für mich damals. Zuerst habe ich mich im Bereich der Kommunikation selbständig gemacht, auch viel Strategie. Ich hab beschlossen: ok, wenn ich das jetzt schon selber mache, dann möchte ich anders arbeiten. Ich möchte mit meinen Kunden sehr interaktiv arbeiten, möchte sie auch viel mehr einbinden in die Prozesse, und da war der erste Moment wo ich gemerkt hab: ich stoße mit meinen Tools an Grenzen, ich brauche neue Tools. Die neuen Tools habe ich in der Werkzeugkiste vom Coaching gefunden. Somit war auch sehr schnell klar, dass es diese Richtung sein wird, die ich mir dazuholen möchte. Am Anfang waren das tatsächlich kleine Schritte und ich habe es mir punktuell angeeignet, weil ich es gerade gebraucht habe, ich habe auch immer wieder mit Partnern gearbeitet. Für mich war das auch ein bisschen wieder Back to the Roots wegen der Psychologie. Ich will viel mehr mit Menschen wieder zu tun haben. Marken und Produkte ist auch toll, aber der Mensch hat mich dann immer mehr fasziniert. Aus dem Schritt für Schritt aneignen ist immer mehr geworden – vor ein paar Jahren habe ich auch die Coaching-Ausbildung gemacht und die in St. Gallen abgeschlossen. Seither coache ich. Der Anteil jetzt ist ca 80% Coaching und circa 20% in der Kommunikation. Es ist sehr schnell gegangen. Hätte ich nicht gedacht, aber freut mich.

I: Was macht ein systemischer Coach?

B: Natürlich geht es um die Person, die zu mir kommt. Es sind alles Individuen, die bei mir am Sofa sitzen. Das ist der Protagonist, keine Frage. Aber wir beleuchten nicht nur die Person als Individuum, sondern auch im Zusammenhang von verschiedenen Systemen. Wir leben alle in unterschiedlichen Systemen: die Familie, der Freundeskreis, es gibt auch das System am Arbeitsplatz. In all diesen Systemen wirken wir. Wenn wir unsere Situation aus verschiedenen Perspektiven beleuchten, das bringt der systemische Ansatz, sehen wir das auch wieder auf neue Art und Weise. Das kann unglaublich bereichernd sein. Wenn ich größere Projekte coache und Teamcoachings mache, arbeite ich mit meinem Partner Dr. Hannes LUNBERGER zusammen, er ist schon viele Jahre systemischer Coach. Er hatte seine Praxis im 8. Bezirk in der Josefstädterstraße. Unten gab es ein indisches Restaurant, auf der Kreidetafel unten stand statt dem Menü: kommen Sie zu mir essen und wir verhungern beide. Das ist ein sehr schöner Ansatz, systemisch zu erklären. Wir hängen alle zusammen: es ist etwas, was mich immer wieder begeistert, wir kommen aus der Eigensicht heraus.

I: Kannst du abgrenzen: Therapie von Coaching?

B: Nach Lehrbuch gibt es eine klare Unterscheidung: Coaching ist für den gesunden Menschen, Therapie gibt es, wenn es eine Indikation gibt. Die Grenze ist fließend. Wenn jemand zu mir kommt, bemerke ich schon, wenn jemand eher therapeutische Hilfe benötigt, das spreche ich auch offen an. Das ist auch meine Aufgabe.

Vom Lehrbuch weg: wenn du dir die Dynamik anschaust :die Therapie fragt stark nach dem warum, das Coaching geht auf die Frage: und jetzt? Auf Basis dessen was da ist überlegst du dir: was mach ich jetzt?

Es gibt eine schöne Formulierung:

Der Coach hat die Prozesskompetenz, der Coachee hat die Veränderungskompetenz. Als Coach stelle ich Tools zur Verfügung, ich stelle Fragen, und der Coachee bestimmt, was er damit macht, wo er bereit ist, um die Ecke zu denken. Die Bereitschaft wird vom Coachee gesteuert, was er hineinlegt.

I: Wie findet man seinen perfekten Coach?

B: Zu mir kommen die meisten, weil ich ihnen empfohlen werde. Persönliche Empfehlung ist schon Vorselektion: die Person, die empfiehlt, kann sicher schon ein bisschen einschätzen, ob es von der Chemie her passt. Sich im Freundeskreis umhören ist sicher nicht verkehrt, das würde ich wahrscheinlich empfehlen.

I: Worauf bist du konkret spezialisiert? Persönliches vs Businesscoaching?

B: Ich habe ein Diplom in Businesscoaching abgeschlossen. Was das anbelangt, habe ich sicherlich auch einen sehr guten Bezug. Damit kommen auch die meisten zu mir. Aber spätestens in der zweiten oder dritten Einheit ist ein privates Thema am Tisch, weil man das nicht trennen kann. Wir sind als Menschen holistisch: wir haben nicht eine Persönlichkeit von Montag bis Freitag fürs Büro oder mit der wir momentan den Computer aufklappen und wenn wir ihn zuklappen sind wir eine Privatperson – das findet ja nicht statt, diese Trennung. In Wahrheit sind wir als Gesamtmenschen unterwegs. Das ist auch das faszinierende: wenn wir über einen Businesskontext sprechen und draufkommen was tatsächlich dahintersteckt, ist das einfach eine wahnsinnige Erleichterung. Sie erkennen: das hat weder mit meinen Kompetenzen zu tun noch mit meinem schlechten Chef, sondern meistens ist es etwas in unserer Persönlichkeit. Oft finden Projektionen statt, dass wir etwas auf eine andere Person projezieren. Einige Coachees kommen zu mir, weil sie ein Problem mit dem Vorgesetzten haben – da draufzukommen, nach intensiver Arbeit, es ist eigentlich nicht der Chef das Problem, sondern in Wahrheit ist es etwas, was wir in diese Person hineinprojezieren. Dann sind wir nicht mehr ohnmächtig, dieser Situation ausgeliefert – in dem Moment, wo wir das erkennen, haben wir wieder viel mehr Handlungsspielraum. Das zukunftgerichtete. Coaching ist sehr hands-on, sehr pragmatisch in vielen Bereichen – es bringt oft die Möglichkeit, im Rahmen dieser Persönlichkeitsentwicklung auch mal Verhaltensvarianten auszuprobieren. Wir können zwar nicht wirklich unsere Persönlichkeit verbiegen, das wollen und sollen wir auch garnicht, aber wenn wir erkannt haben was da ist, dann können wir schauen, was wir damit machen. Und dann können wir sehr wohl ein bisschen das Verhalten austesten. Was passiert denn, wenn ich das mache? Wenn ich dieses sage? Wenn ich anders reagiere? Oft ist es so schön zu merken: wenn die Coachees nur ein bisschen an den Verhaltensfacetten drehen, ein Mini-schräubchen drehen, bekommt man plötzlich neue Reaktionen. Das ist das systemische.

Man kann unglaublich dankbar für emotional intensive Begegnungen mit Menschen sein – je mehr uns das emotional triggert, umso mehr steckt für uns auch drinnen. Erste Instanz: erkennen, was ist das? Zweite Instanz, überlegen: muss das so bleiben? Oder möchte ich vielleicht auch einmal etwas anderes ausprobieren?

Man kann auch nach dem Reflexionsvorgehen auch beschließen: ok, ich finde diese Person auch wirklich deppert, ich stehe zu dem Gefühl, das sie in mir auslöst, und ich beobachte mich dabei, wie das Gefühl kommt und wieder geht. Was wir leider sehr oft tun: wir beurteilen unsere emotionalen sensations. Dadurch legen wir eine Metaebene drüber. In Wahrheit ist in dieser Metaebene dann meist der Kummer zuhause. Solange wir beobachten, was da ist, gibt es keinen Grund dafür, das zu bewerten oder schlecht zu finden, zu verurteilen. Zwischen den Einheiten soll man sich vor allem beobachten: es wird sich einiges zeigen, der Beobachtungsmodus ist in Wahrheit der, der uns am meisten bringt, wo am meisten Potenzial drinnensteckt.

I: Du bist auf Female Leadership spezialisiert. Warum? Vermehrter Bedarf?

B: Das Thema ist mehr zu mir gekommen als dass ich es tatsächlich forcieren wollte. Ich gebe dir Recht: man würde glauben 2021, wir sollten so weit sein, aber wenn man sich anschaut wo wir stehen, ist leider noch einiges zu tun. Ich will nicht zu negativ klingen, es tut sich momentan schon viel gutes, und ich finde auch, wir sollten diesen Drive auch wirklich nutzen. Für mich hat das Thema auch erst vor ein paar Jahren Fahrtwind aufgenommen: ich war bei einem Vortrag eingeladen, ich wurde gefragt: wie habe ich meine Karriere gestaltet? Wie konnte ich als Frau so eine Wahnsinnskarriere in dieser Branche hinlegen? Ich war sehr dankbar über die Frage – bis zu dem Zeitpunkt habe ich mir darüber nie wirklich Gedanken gemacht. Das hat in mir etwas ausgelöst: mir ist klargeworden: das, was ich hingelegt habe, ist nicht selbstverständlich, das gibt es nicht so oft, offensichtlich interessiert es andere. Vor allem auch andere junge Frauen. So sind auch viele jüngere Frauen aus meiner ehemaligen Branche zu mir gekommen. Das hat sich immer mehr herauskristallisiert, dass das nach wie vor ein Fehler ist. Ich finde Frauen haben Skills, die momentan so gefragt wären oder sind wie überhaupt noch nie. Wir haben gewisse Superpowers, die so gut passen, so ein perfect fit sind momentan, wir sind wesentlich besser als viele / die meisten Männer im gesamtheitlichen, integrativen Denken. Wir können wesentlich besser auf kommunikativem Weg Konflikte lösen, usw. Aber viele Frauen sind sich dessen nicht bewusst. Sie haben nach wie vor das Gefühl, sie müssen sich fast schon dafür entschuldigen, wenn sie eine Führungsrolle übernehmen – dann müssen sie deligieren, auch mal etwas negatives kommunizieren. In der Dynamik steckt drinnen, dass Frauen gerne gemocht werden wollen. Das ist menschlich, keine Frage, aber es ist wichtig, dass das gereframet wird. Dass man das auch einmal klar sieht. Muss ich zu jedem Zeitpunkt, von jedem gemocht werden? In meiner Verantwortlichkeit als Führungskraft muss ich auch mal Entscheidungen treffen und Dinge kommunizieren, die jetzt nicht mit Jubel willkommen geheißen werden. Aus diesem Grund gibt es diese beiden Produkte bei mir: zum einen das Female Empowerment, zum anderen das Leadership Coaching.

I: Warum denkst du, ist das so? Warum haben wir Frauen noch immer potenziell mehr Probleme damit?

B: Leider ist es auch so: wir erziehen Kinder noch immer geschlechtsspezifisch. Mädchen wird tendenziell immer noch, auch heute noch, gesagt: sei brav, sei lieb, muck nicht auf. Mädchen werden dazu herangezogen, zu gefallen. Man weiß auch, dass die Google-Suchanfrage „meine Tochter ist zu dick“ 80% öfter eingegeben wird als „mein Sohn ist zu dick“. Wir wissen aber schon, dass Buben und Mädchen gleichermaßen Hang zum Übergewicht haben. Das ist nicht begründbar dadurch, dass nur Mädchen zu dick werden. Aber offensichtlich ist für Eltern allein das Körperliche bei Mädchen so viel wichtiger als bei Buben. Damit sehen wir schon, dass das noch immer nicht einmal ansatzweise ausgeglichen ist. Bei Buben ist generell das Kompetitive viel mehr gefördert, von Kindesbeinen an. Buben spielen Fußball, Fangen, da geht es permanent darum: Wer ist schneller, größer, wer hat das besser im Griff, hat davon mehr. Das ist das Ur-Bubenhafte, sich zu messen. Leadership ist manchmal auch mit dem Verbunden, dass wir uns mal rausstellen müssen, zeigen müssen, Flagge bekennen müssen, und sagen müssen: da bin ich jetzt, und mir ist relativ egal wie du das jetzt findest. Ich bin jetzt die Größte.

Auch interessant: die Korrelation Männlichkeit und Erfolg ist positiv, die Korrelation Weiblichkeit und Erfolg ist leider gegenläufig. Das heißt: je erfolgreicher ein Mann ist, desto sympathischer wird er in der Wahrnehmung seines Umfelds – bei den Frauen ist es umgekehrt. Je erfolgreicher eine Frau ist, desto unsympathischer wird sie wahrgenommen. Es gibt ein Experiment aus Harvard: the HEIDI-Project. Da gibt es einen CV von einem Business Angel im Sillicon Valley, sehr erfolgreiche Frau, die gibt es wirklich, da wird quasi in einer Seite ihr Leben dokumentiert, ein klassischer CV, dann gibt es den Versuch, dass man das Harvard-Studenten hinlegt, 100 Personen kriegen den CV von der Heidi und 100 Studenten als Testgruppe bekommen den genau gleichen CV hingelegt, nur es steht nicht Heidi drüber sondern Howard. Die lesen dann und werden danach befragt. Gute Nachricht: sie finden alle 200 die Person danach gleich kompetent. Die schlechte: der Howard wird bezeichnet als cooler Typ, wahnsinnig ambitioniert, unglaublich inspirierend, mit so jemandem möchte man gerne arbeiten. Die Heidi wird beschrieben als viel zu ehrgeizig, viel zu verbissen, wenn man so jemanden im Team hat, geht man so jemandem lieber aus dem Weg. Deswegen haben wir noch etwas zu tun.

I: Themen wo du merkst, das zieht sich durch diese Female Empowerment Coachings?

B: Frauen werden sehr gerne gemocht – das hat unterschiedliche Facetten. Eines, was mir immer wieder begegnet: diese Abgrenzungsthema. Auch Nein sagen können, zu sagen: das geht nicht, das kann ich nicht. Da merke ich wirklich, dass viele Frauen noch Unterstützung brauchen, das üben müssen. Um eine Abgrenzungsstrategie zu haben, muss man die eigenen Bedürfnisse kennen. Das klingt so banal, aber das ist es überhaupt nicht: wenn ich sie erkenne, muss ich als nächstes zu ihnen stehen. Es ist wahnsinnig kraftvoll, diesen Schritt zu gehen. Sicher auch teilweise schmerzhaft, keine Frage. Aber wenn ich das nicht wage, wenn ich das nicht mache, wird es schwierig: im Endeffekt lebe ich dann das Leben von jemand anderem. Es ist nicht mein Leben, wenn ich meine Bedürfnisse nicht erfülle. Das ist sicher die Basis für jede Abgrenzungsstrategie.

I: Leadership skills tranieren / kultivieren

B: Fachliche Kompetenz ist schon hilfreich, keine Frage. Es ist die Basis des Selbstbewusstseins. Wenn ich permanent das Gefühl habe ich schwimme fachlich, wird es schwierig, da permanent drüber hinwegzutäuschen. Das wäre sehr kurzfristig. Aber die Leadership skills sind parallel zu entwickeln. Leider gibt es bei uns fast nirgends gute Ausbildungen – es wird auch viel zu selten in den Ausbildungen verankert, das finde ich sehr schade, dadurch bekommt das auch immer so ein bisschen diesen Touch, den es manchmal noch hat – ok, hier ist jemand, der so bossy ist, sich aufspielen muss, im Mittelpunkt stehen will. Sie will sich permanent nur inszenieren. Das ist es garnicht. Leadership ist eine sehr verantwortungsvolle Rolle, die unglaublich viel an Skills verbindet. Ich denke, das ist ein Grund warum Coaching in den letzten Jahren sehr beliebt wurde, weil die Leute erkannt haben: ich kann zwar in der fachlichen Richtung immer besser werden, aber es hilft mir nicht

S im Leadership, meine Leute machen noch immer nicht das, was ich möchte. Es braucht was anderes. Was es meiner Meinung nach braucht: dass man wirklich lernt, sich selbst besser kennenzulernen. Die eigene Persönlichkeit zu erkennen und den Weg der Persönlichkeitsentwicklung mal einzuschlagen, das ist sicher die Basis dafür. Nach dem Motto „Lead yourself to lead others“ – wenn du dich selbst gut kennst und da einen guten Zugang hast, kannst du auch viel besser für Menschen, für die du verantwortlich bist, ein Vorbild sein. Du kannst sie besser motivieren. Du kannst mit ihnen gemeinsam Ziele entwickeln, worauf es letzten Endes auch ankommt. Das ist meine Vision, mein Zugang zu dem Thema.

I: Wie schauen deine Coachings aus?

B: Meine Coachings dauern im Schnitt 90 Minuten, manchmal kürzer, manchmal länger. Ich lasse auch immer genug Puffer hinten dran – man weiß nie, was passiert, und ich bin niemand, der gern dann auf die Uhr schaut. Es funktioniert so: der / die Coachee kommt zu mir, am Anfang wird besprochen, was sich so seit dem letzten Mal getan hat. Das hat das Ziel, dass man beginnt zu integrieren. Spätestens nach dem 3., 4. Mal merken die Coachees ganz gut, wie das beginnt sich zu verzahnen. Wo praktisch klar wird: es gibt nicht den Alltag und das Coaching, die beiden Dinge gehören zusammen. Im Alltag: ah, das kenn ich aus dem Coaching, oder im Coaching: ah, genau das war gestern. Es verzahnt sich. Das ist der erste Part. Dann mache ich sehr gerne ganz bewusst einen Break mit kontemplativem Gehen. Es ist eine Meditation im Gehen. Dauert ca 10 Minuten, hat den Zweck, dass der oder die hier ankommt. Der ist dann wirklich im Hier und jetzt. Da ist dann Safe space hier in der Coaching Praxis, da ist dann klar, hier und jetzt und alles was zählt, genau in diesem Moment. Dann gehen wir in die Prozessarbeit. Es ist natürlich immer unterschiedlich, was sich gerade zeigt, was man macht, ich arbeite viel mit dem St.Galler Coaching Modell. Das ist ein wertorientiertes Modell, da schaut man sich an: worum geht es? Das ist der Hauptteil. Es gibt viel Aufstellungsarbeit, es gibt verschiedene Zugänge aus NLP, es gibt Texte, die einfließen, die kommen aus der Hypnotherapie, es ist sehr facettenreich. Bei mir gibt es auch viele Bodenankeraufstellungen, mit diesen Zetteln. Zum Beispiel St. Galler Coachingmodell sind keine Namen drauf, sondern Werte oder Zielsetzungen, also eher etwas Abstraktes. Ich mache aber auch Aufstellungen mit dem Systembrett. Sehr schematische Figürchen – eigentlich sind es nur Holzstummelchen mit kleinen Gesichtern. Ebenso faszinierend, was das für eine Kraft entwickeln kann, obwohl das alles so schematisch ist. Wenn wir Personen aufstellen mache ich gerne das Systembrett. Schon vieles sehr sehr spannendes erlebt. Es ist auch für mich immer wieder faszinierend: ich weiß ja auch nie wenn ich etwas anbiete, als Coach, wie der Coachee damit umgehen kann. Ich hatte schon das ein oder andere Aha-Erlebnis, weil ich dachte: die Person wird das jetzt garnicht können, das wird schwierig für sie oder für ihn, und dann war ich total falsch und es war der volle Homerun, die Aufstellung ist wie am Schnürchen automatisch abgelaufen. Sehr faszinierend.

I: Du hast in einem Interview gesagt: Privates vom Beruflichen trennen macht keinen Sinn. Für was man brennt, brennt man auch schnell aus – wie setzt man Grenzen zwischen Arbeit und Privatem?

B: Ich arbeite gerne, ich arbeite viel, und ich habe auch immer viel gearbeitet. Als ich noch in großen Agenturen angestellt war, haben mich die Leute gefragt: wieso machst du das, das ist ja nicht dein Laden, du solltest selbständig sein. Mittlerweile verstehe ich, was die gemeint haben. Wenn es so ist wie bei mir ist es unglaublich toll, wenn man das was man tut liebt. Dann ist es auch vom Gefühl her weniger anstrengend. Man muss sich nicht überwinden, es ist in gleichen Maßen kräfteraubend und inspirierend, und damit wieder auch kräfteaufbauend. Ich bin von der Sorte viel arbeitend. Wenn man selbständig ist, ist das Fluch und Segen zugleich. Eh super, weil man auch mehr geben will, sicherlich der Anspruch auch entsprechend hoch ist. Aber, das ist die große Gefahr, man muss schauen, dass der Anspruch nicht zu groß wird. Dass man wirklich drauf achtet, dass man auch Regenerationsphasen hat. Sowohl die Ressourcenmenge ist individuell als auch die Bedürfnisse zum Thema Pause. Es gibt Leute, die brauchen alle 10 Minuten eine Kaffeepause – aber die arbeiten trotzdem toll. Wichtig ist, dass man lernt, wie man selbst tickt, was man braucht. Und dass man dann drauf schaut, dass man von dem genug bekommt. Es ist sicherlich immer eine Herausforderung. Wobei der Job, Coach sein, mich auch vor mir selbst beschützt – ich muss natürlich extrem auf meine Ressourcen aufpassen, weil ich nicht coachen kann, wenn ich halb ausgebrannt bin. Ich bin jetzt mehr in einer achtsamen Situation als ich es zuvor war.

Zu verstehen, dass Pausen wichtig sind – rest is a productive activity. Wir machen und brauchen Pausen, damit wir dann wieder Gas geben können. Wenn wir das nicht tun, ist es irgendwann einmal vorbei. Das ist auch als Mindsetchange essenziell. Dass wir Pausen nicht als Tabu-Thema oder als Schwächezeichen deuten. Es gibt Phasen im Leben, da saugen wir, und es gibt Phasen, da geben wir ab. Aber wir müssen saugen, sonst können wir nicht abgeben. Es muss sich die Waage halten.

I: Wie oft macht es Sinn, für ein Coaching zu dir zu kommen?

B: Das hängt vom Anlassfall ab. Es gibt Coachings die als Infusion zu sehen sind, wenn es einen akuten Notfall gibt. Typisch: jemand wird gekündigt, glaubt, dass er gekündigt wird, oder jemand muss selber kündigen, will kündigen, das kennen wir doch alle, wo man das Gefühl hat: ok, da könnte ich jetzt Hilfe brauchen. Sowas ist dann tatsächlich immer recht flott zu erledigen: man braucht zwei, drei intensive Tankeinheiten, und dann ist das meistens damit getan. Wenn man das Coaching nimmt das tatsächlich eine Persönlichkeitsentwicklung beinhaltet, sind mindestens 4-5 Einheiten gut, dass der Coachee auch merkt: da tut sich jetzt was bei mir. Das kann ausgeweitet werden, wenn es noch mehr zu besprechen gibt. Aber das ist eigentlich ganz gut. Man sagt ja auch: es ist nicht gut, wenn man als Coach dann fast schon gebraucht wird, eine Abhängigkeit entwickelt. Das ist wichtig, dass der Coach ein Anstoß ist, diese Tools zur Verfügung stellt, aber auch, dass der Coachee allein durchs Leben geht. Wir leben das Leben vorwärts, aber verstehen tun wir es rückwärts – wenn wir nach einer Phase reflektieren was war, vor einem Jahr oder so, dann verstehen wir es auch besser. So ist es auch beim Coaching: den Effekt spürt man auch mit einer gewissen Distanz, mit der Anwendungsübung auch im Alltag noch viel mehr.

Man merkt es erst nach einer gewissen Zeit, aus einer gewissen Distanz. Aber das ist eh sehr schön, finde ich. Die Dinge brauchen auch ihre Zeit. Das soll auch so sein. Coaching soll auf keinen Fall zusätzlichen Druck machen, oder: ich muss das jetzt erkennen, keine Ahnung. Ganz und garnicht. Es sollte etwas sein, was sogar einen gewissen Ausgleich zum Leistungsdruck im Alltag ist.

I: Wie sieht für dich Leadership im Jahr 2030 aus?

B: Es sollte viel inklusiver, viel diverser sein. Ich hoffe und werde auch alles dafür tun, dass es so sein kann, dass wir wirklich auch Leadership Teams haben, die sehr vielfältig sind, wo auch sehr viele Frauen, oder in jeder Hinsicht diverse Teams am Werk sind, damit einfach auch so viel wie möglich unterschiedliche Perspektiven auch wirken können, weil ich auch wirklich überzeugt bin, dass wurscht ob das ein Unternehmen, eine Organisation oder was auch immer, auch die Politik natürlich ist, davon profitiert. Ich hoffe, dass wir das 2030 so kultiviert haben.

I: Wo findet man dich?

B: Auf Instagram, Vera Steinhäuser, oder auch auf meiner Website, Vera steinhäuser. Com. Ich bin auf LinkedIN, Xing, auf Facebook manchmal, man wird mich sicher finden, das ist kein Problem.

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