Transskript Iva Samina

I: perfekter Morgen

B: Wundervolle Frage. Tatsächlich hatte ich mittlerweile ein schönes, ausgefeiltes Morgenprogramm. Ich habe drei erwachsene Töchter, ich musste mein Leben lang immer früh aufstehen, alles sehr getaktet. Seit dem die alle ausgezogen sind, habe ich Zeit, um den Morgen zu zelebrieren. Das erste was ich mache wenn ich aufwache ist, ich sage mir jeden Morgen: heute ist der schönste Tag in meinem Leben. Dann stehe ich auf, mache Ölziehen, nehme Sonnenblumenöl, Kokosöl in meinen Mund und spüle ihn damit 20 Minuten lang aus, dusche mich, mache eine Stunde Yoga, meditiere 30 Minuten, dann spiele ich sehr gerne Harmonium und singe dazu. Das ist meine Morgenpraxis. Und dann Frühstück.

I: Wie beschreibst du was du machst

B: Ich habe zwei Dinge, für die ich brenne, zwei Leidenschaften, die ich zum Beruf gemacht habe: das eine ist das Thema Schwangerschaft und Geburt, ich wollte immer Hebamme werden, aber es war irgendwie nicht möglich. Aber ich bin Geburtsvorbereiterin geworden, ich gebe Hypnobirthingkurse, und ich bin „DULA“, das ist ähnlich wie eine Hebamme, ich begleite Frauen bei der Geburt, aber ich darf sie nicht untersuchen und das Kind nicht entgegennehmen. Das liebe ich. Das ist ganz schön, ich unterstütze Frauen in ihrer Selbstbestimmung. Das andere Standbein ist das Thema Sexualität: Körperlichkeit, Männlichkeit, Weiblichkeit. Es gibt für das was ich mache nicht wirklich eine Beschreibung. Manche Menschen sagen Sex-coach. Bodyworker. Sexologin. Aber immer wenn man etwas sagt, wird etwas anderes ausgeklammert. Ich sage tatsächlich manchmal gerne Sexworkerin, aber bei den meisten hat das einen komischen Beigeschmack, denken sofort an Prostitution. Ich gebe viele Workshops zu dem Thema: Tantra, Kink, BDSM. Körperlichkeit, Weiblichkeit, Gebärmutter, Menstruation, Brüste. Ich gebe viele Einzelsessions, ich bin systemische Sozialtherapeutin, Heilpraktikerin. Ich arbeite sehr ganzheitlich. Wir schauen jedes Mal individuell: was will hier geschehen. Manchmal Traumaaufarbeitung, Schmerzen im Beckenboden, die neue Lust entdecken, und ich bin die Hilfestellung für die Leute um wieder in ihre Kraft reinzukommen.

I: In den Workshops hast du erwähnt, dass die meisten Traumata bei den Themen Sexualität und Geburt entstehen.

B: Da ich ja immer Hebamme werden wollte, war ich bei vielen Geburten dabei. Ich habe viele Praktika gemacht, war bei Hausgeburten dabei, war im Geburtshaus, im Krankenhaus, bei vielen Kaiserschnitten. Was ich immer wieder beobachtet habe: viele Frauen können es, man lässt sie nur nicht. Wir leben in einer männlich dominierten Welt. So ist unsere Wirtschaft, unsere Politik, unsere Religion, unser Bildungswesen, unser Gesundheitswesen. Alles am männlichen Prinzip ausgerichtet. Auch die Art und Weise, wie wir unsere Kinder gebären sollen, auch die Art und Weise, wie wir unsere Sexualität leben. Geburten werden immer ins Krankenhaus manövriert, und ein Krankenhaus ist ein wirtschaftliches Unternehmen. Die haben da keine Finanzen und Zeit um die Frauen super gut zu betreuen so wie es sein sollte. Stattdessen ist dann eine Hebamme für so und so viele Frauen gleichzeitig zuständig. Muss nebenbei noch protokollieren. Die Frauen fühlen sich oft allein gelassen, sie werden garnicht ermächtigt, sondern es wird immer alles an diese Maschinen abgegeben, und an die Ärzte, die die Götter in weiß sind. Ich behaupte es weiß kein Mensch besser als der Körper der Frau, die Frau, wir haben es nur vergessen. Ich habe viel recherchiert in diesen ganzen Jahren, mich mit vielen Hebammen unterhalten, ich bin viel gereist und habe viele Bücher gelesen. Was ich immer wieder beobachtet habe: bei vielen Naturvölkern haben die Leute oft gesagt: Geburt tut nicht weh. Geburt war kurz. Wenn in Bali vor einer Generation eine Geburt noch länger als 3 Stunden gedauert hat, sind die Familien schon zur Hebamme gegangen und haben gefragt: warum dauert das denn so lange. Geburt ist in meinen Augen, wie ich es verstanden habe und beobachtet habe, eigentlich so designt, dass eine Geburt nicht länger als 3-5 dauert, dass es schmerzfrei ist, und dass es bis hin zu ekstatisch, lustvoll, orgiastisch sein kann. Nur – wir haben es vergessen. Wir hatten 800 Jahre Hexenverbrennungen, wir haben 2000 Jahre Patriarchat, dieses Wissen ist in Vergessenheit geraten. Aber es ist in uns drinnen, und jetzt geht es darum, dass wir dieses Wissen wachküssen. Dass wir uns anfangen, wieder daran zu erinnern, weil wir können es. Es ist wirklich schade: 98% aller Geburten haben einen medizinischen Eingriff. Das ist einfach viel zu viel, das muss nicht sein. Und jedes 3. Kind wird per Kaiserschnitt geholt. In den letzten 25 Jahren sind die Kaiserschnitte von 10 auf 30% angestiegen. Das muss nicht sein. Das ist zum Teil einfach die Unwissenheit der Ärzte, der Hebammen, die sich immer mehr an den Ärzten und Maschinen orientieren müssen und im Endeffekt mehr und mehr ihr Handwerk verlernen, dann das Krankenhaus, ein wirtschaftliches Unternehmen und die Versicherungen. Und dann noch die Unsicherheit der Frauen. Da spielen so viele Faktoren rein, dass die Frauen im Endeffekt nicht in ihrer Kraft und Macht sind. Dadurch entsteht ganz, ganz viel Trauma.

I: Nicht mehr in diesem Urvertrauen. Alles was du beschrieben hast, mit dem asoziieren wir im Westen Geburt absolut garnicht. Thema Geburt: Schwenk zum Thema Sexualität. Du hast erzählt, dass Babys im Bauch schon Erektionen haben. Das war mir komplett neu.

B: Jeder der kleine Kinder hat oder viel mit ihnen zu tun hat, gerade Kinder, die einen Penis haben können beobachten, dass Kinder mit Penissen regelmäßig eine Erektion haben. Von Baby an. Ist einfach so. Auf Ultraschallbildern kann man das auch sehen. Kleine Kinder sind supersinnliche Wesen. Sie sind sexuelle Wesen. Die sind mit ihrem System offen. Kleine Kinder sind noch angebunden an diese Lebensenergie. Sexuelle Energie ist Teil der Lebensenergie. Die sind so offen mit ihren System, dass wenn sie in diese Sinnlichkeit reinkommen, dass sie einfach ganz reingehen, sich erlauben, das wirklich zu fühlen. Es ist unser Geburtsrecht, lustvoll, ekstatisch, orgiastisch zu sein. Sobald wir heranwachsen, meistens im Alter von 2-3 Jahren, wird uns das abgewöhnt, abtrainiert. Dann kommen die Erwachsenen und die stülpen uns quasi ihre Scham, Angst, alles mögliche über – dann geht es los mit: pfui, schäm dich, das macht man nicht, was sollen die anderen denken. Geh dir die Hände waschen, früher war es ganz viel Sünde. Kinder wollen geliebt werden, die wollen wissen, dass ihr Überleben gewährleistet ist. Die sind von uns abhängig. Wenn die das Gefühl haben das ist in Gefahr, passen die sich innerhalb von einer Millisekunde an und es gibt einen Twist im System. Und das passiert nicht nur einmal, dass jemand sagt: was spielst du denn an deinen Genitalien herum. Das machen die ganzen Familienangehörigen, die Betreuer in der KITA, in der Schule, sonst wo. Es passiert wieder, wieder und wieder, und irgendwann nehmen wir das als unsere Wahrheit an, dieses: das ist nicht ok. Dabei ist es ein Grundbedürfnis, wie essen, trinken, schlafen. Das gehört einfach dazu. Dann wird von uns verlangt, dass wir uns davon trennen, abschneiden.

I: Was hat das für Folgen? Antrainierte Scham? Wie äußert sich das im Erwachsenenalter, potenziell?

B: Ich habe nur so eine Idee von den Folgen. Ich glaube, dass das eines der größten Übel dieser Welt ist. Dass wir nicht mehr in unsere Urkraft sind, in unserer Freude, in unserer Lust, in dieser Sinnlichkeit. Wir dürfen nicht zu glücklich sein, wir dürfen nicht wirklich sexuelle Wesen sein. Frauen sind schnell Schlampen und so weiter. Die Folgen sind fatal. Wir fangen oft an, uns für unseren Körper, für unsere Lust zu schämen. Viele trauen sich nicht, vor allem Frauen, ihre Genitalien zu berühren oder anzuschauen. Das hat eine Auswirkung auf die ganze Sexualität später. Auch dieses ständig es wegdrücken, es ständig deckeln – das ist trotzdem Energie, die da ist. Aber es ist ein physikalisches Gesetz: Energie will fließen. Und Energie will sich den Weg suchen, dass sie fließen kann. Wenn sie nicht mehr frei fließen kann, sucht sie sich über Umwege den Weg. Die können manchmal sehr perfide Formen annehmen. Ich glaube, dass Pornosucht daher kommt, Perversion daher kommt. Sexueller Missbrauch. Dass viele Krankheiten daher kommen. Ich glaube auch, weil wir anfangen in den Mangel zu gehen, wir sind nicht mehr in der Ganzheit, sind nicht mehr in der Fülle, wenn wir anfangen uns von uns selber abzuschneiden, gehen wir mehr in den Mangel. Dann fangen wir an, im Außen etwas zu suchen mit dem wir uns befriedigen können, damit wir diese Leere in uns nicht mehr fühlen müssen. Ich denke, dass Süchte daher kommen, sehr viel Streit, und ich behaupte sogar, dass Kriege daher kommen. Ich gehe so weit und behaupte: wenn wir die Art und Weise heilen wie wir unsere Körper bewohnen und wie wir unsere Sexualität leben, wie wir das auch beigebracht bekommen, auf gesunde, reine, unschuldige Art und Weise, dann sind wir in der Fülle, dann sind wir bei uns zuhause und dann gibt es keinen Grund mehr, irgendwem im Außen irgendwas wegnehmen zu wollen. Das gibt es nicht. Davon bin ich ganz felsenfest überzeugt. Deshalb behaupte ich immer: unsere Sexualität zu heilen ist die beste Revolution, die wir haben können. Das ist friedvoll, das ist liebevoll, das kann uns kein Mensch verbieten.

I: Wir würde eine Welt aussehen, wo das geheilt ist?

B: Ich glaube, es gäbe keine Kriege. Menschen wären viel gesünder. Viel, viel glücklicher. Sie würden viel eher teilen, sie wären nicht so viel in der Angst sondern eher auch im Vertrauen und in der Zuversicht. Sie würden einander viel mehr helfen statt sich gegeneinander auszuspielen und in Konkurrenz zu gehen. Sie wären viel mehr wohlwollend und unterstützend. Wir hätten einen ganz anderen Umgang mit der Natur, unserer Mutter Erde. Wir würden nicht mehr die Wälder abholzen, abbrennen, ausbeuten, sondern wir würden verstehen, dass wir eins sind. Wir gehören zusammen, wir können uns nicht voneinander trennen. Das ist alles so eng miteinander verbunden: Natur, Geburt, Sexualität. Wenn man das einmal verstanden hat, kann man das garnicht mehr nicht sehen. Wir hätten eine gesund Welt.

I: Wir sind in der Essenz, im Endeffekt sinnliche Wesen. Aber das ist abhanden gekommen. Wie kann man diese Empfindsamkeit, die körperliche Wahrnehmung wieder resensibilisieren kann?

B: Im Endeffekt gibt es ganz, ganz viele Wege dahin. Ein Weg ist zum Beispiel die Langsamkeit. Sobald wir langsam gehen, können wir uns ganz anders fühlen im Körper. Wir werden plötzlich präsent in unserem Körper. Wenn wir langsam essen, dann können wir viel besser die Geschmäcker in unserem Mund wahrnehmen. Wenn wir langsam reden, kommen wir viel besser mit unseren Gefühlen in Kontakt. Wenn wir langsam Sex haben, dann können wir viel besser Emotion und Gefühle in uns wahrnehmen. Das ist ein Weg. Bewusstes, tiefes, langsames Atmen. Viele atmen nur flach im Brustkorb. Wenn wir tief in den Bauch atmen, bewegen wir das Zwerchfell nach unten, unsere ganzen Organe werden massiert. Sobald wir unten in den Bauch atmen, wird die sexuelle Energie angeregt, die fängt an zu fließen, somit ist es viel leichter, dass wir in unsere Sinnlichkeit zurückfinden. Ich würde auf jeden Fall raten aufzuhören Pornos  zu schauen. Dort wird uns ein sehr männliches Bild von Sexualität vorgespielt. Das heißt nicht alle Pornos sind schlecht – aber die Art und Weise wie wir damit umgehen ist genau wie mit Zucker. Hin und wieder, ok, aber wenn wir täglich Zucker essen oder täglich Alkohol trinken, ist es einfach nicht mehr gut für unseren Organismus, für unser System. Wenn wir jeden Tag Pornos schauen, denken wir irgendwann: so geht Sex, das ist die Realität. Dann fangen wir oft an, es genauso zu leben. Oft sind wir nicht mehr bei uns zuhause, nicht mehr im Fühlen, sondern wir performen irgendwas, jagen einem Orgasmus nach und verpassen das eigentliche Geschenk darin. Die Sinne ganz auszukosten, neu zu erkunden. Wir sind so auf das sehen fixiert – aber was ist, wenn wir anfangen bewusst zu schmecken? Spiele zu spielen – ich schmecke dieses Stück Obst zum ersten Mal. Was schmecke ich? Und ich spüre den Regen auf meiner Haut. Zum ersten Mal. Wie fühlt sich das an, wenn der Regen meine Haut betröpfelt? Oder der Wind in mein Gesicht bläst? Und plötzlich lassen wir uns vom Leben berühren. Plötzlich sinken wir mehr ein ins Leben, manchmal fühlt sich das an, wie Liebe machen mit dem leben, Liebe machen mit dem Kosmos. Viel Sinnlichkeit ist im Spiel.

I: Ich würde nicht sagen sinnlich, aber die schönsten Erlebnisse im Wald oder was auch immer, wenn ich das bewusst wahrnehme, gefühl von allumfassender Liebe

B: Natur ist großartig. Wenn wir langsam durch den Wald spazieren, es wirklich wahrnehmen, die Erde unter den Füßen spüren, Geruch des Waldes wahrnehmen, die Geräusche, wenn wir uns wirklich öffnen, können wir uns wie von der Natur penetrieren lassen. Das ist unglaublich schön und unglaublich sinnlich. Die ganzen großen YOGINIS UND TANTRIKA im Hymalaya, die machen genau diese Dinge. Die sind oft jahrelang alleine, abgeschieden, alleine, und die haben oft die beste Sexualität, weil sie sich einfach dem Leben so hingeben, sexuell mit dem Leben, der Natur sind. Das ist auf einer ganz tiefen Ebene ganz erfüllend.

I: Was macht guten Sex aus? 5 Grundpfeiler:

B: Guter Sex ist sehr relativ. Ich sage mal eine Sexualität, die nährend ist, die sich erfüllend anfühlt, wo Halt drinnen ist. Ein Pfeiler: Langsamkeit. Einer: Präsenz, Achtsamkeit. Wenn wir mit jemandem sexuell sind, machen wir oft die Augen zu – die Genitalien sind vereint, die Augen sind aber zu, beide schauen sich nicht an, oftmals geht einer von beiden in irgendwelche Phantasien, oder driftet ab in eine Dreamworld, oder in irgendwelche ToDos. Wir sind nicht mehr bei uns im Körper, kriegen garnicht mehr mit: was fühlen wir eigentlich, und auch nicht bei unserem Gegenüber. Das üben ist sehr sehr kraftlvoll. Ergebnisoffenheit: das ist sehr tricky, da sind überall Fallen, ich fall auch noch immer wieder mal drauf rein, irgendeinem Ziel hinterherzujagen. Viele Leute denken ja: man hat Sex wegen dem Orgasmus. Das ist der Grund von Sex: Orgasmus. Ich sage: das stimmt nicht. Ich nehme gerne das MUS(S) aus Orgasmus raus, und ersetze es durch OrgasKANN. Stell dir vor du betrittst mit deinem Partner das Spielfeld Sexualität und ihr nehmt das Ziel „Orgasmus“ raus. Was bleibt dann noch? Was will dann geschehen? Viele Leute kriegen dann Angst, denken: oh Gott. Was kann man denn noch machen? Ich behaupte: genau da geht’s erst los. Plötzlich ist man auf einem Feld der unbegrenzten Möglichkeiten. Plötzlich gibt es so viel mehr Möglichkeiten. Wenn dann irgendwie ein Orgasmus geschieht, supertoll. Aber wenn keiner geschieht, mindestens genauso toll. Dann fällt so viel Druck weg. So viel Performance. Leistungsdruck: ich muss es ihr besorgen, oh ich bin schon wieder nicht gekommen, er ist frustriert, oh ich bin zu früh gekommen. Ich hab keine Lust mehr, ich spiele einen Orgasmus vor. Das kennen ziemlich alle von uns. Wenn das plötzlich alles wegfällt. Und ja, dann darf ein Penis auch mal weich werden. Ein Mann muss auch nicht die ganze Zeit eine Erektion haben. Dann kann er auch wieder weich werden, oder wieder hart. Damit geht so viel Stress, und so viel Druck weg. Sehr empfehlenswert.
Offenheit, Neugierde, Spieltrieb. Als Erwachsene werden wir irgendwann alle so unglaublich ernst. So ernst. Wir wollen es so richtig machen. Bloß keine Fehler. Das kann so anstrengend, liebestötend sein. Wenn wir das kurz abschütteln und uns mit so einer kindlichen Freude verbinden, mit diesem Spieltrieb, dieser Neugierde, ich hab oft so Hundewelpen vor Augen. Der kommt angesprungen, stolpert über die eigenen Ohren, schnüffelt hier herum und beißt da rein. Wenn wir uns mit so einer Energie verbinden, ist es was ganz anderes. Und sich immer bewusstzumachen: mein Gegenüber ist nie dieselbe Person wie am Vortag. Die schaut immer anders aus, riecht anders, fühlt anders, schmeckt anders. Zu schauen: wer ist denn heute vor mir? Wer bin ich heute da? Was soll zwischen uns geschehen? Ich sprech gerne vom Meeting point. Statt vorgefertigte Muster im Kopf zu haben – das muss geschehen, so muss es sein, das muss er machen, einfach zu schauen: was will hier gerade geschehen? Vielleicht geht es darum, dass man nur miteinander kuschelt. Bauch an Bauch liegt. Sich in die Augen schaut. Vielleicht geht es darum, dass ich der anderen Person am großen Fußzeh rumnuckel. Oder die Achselhöhle auslecke. Was auch immer. Vielleicht geht es darum, dass wir einfach übereinander herfallen. Aber da muss man wirklich schauen: was ist das ehrlichste, was hier und jetzt gerade geschehen will? Wenn wir diesen Meeting point finden, dann kommt Entspannung und dann kommt Freude auf, und beide sind glücklich. Und was ich schon gesagt habe: ich spiele die Spiele mit ich tu etwas zum ersten mal. Wenn wir das im Alltag üben – mit Essen, mit Wasser, mit Berührung, mit Geräuschen etc., dann kann ich das auch bei meinem Gegenüber, bei mir selber ganz wunderbar spielen. Wie ist es, wenn ich in diese Pobacke kneife? Was fühle ich unter meinen Fingern? Wie fühlt sich das noch an? Wenn ich mit meinen Zähnen reinbeiße, wie kann ich mit meinen Zähnen in der Haut rumspielen? Was geschieht dann? Es wird einfach nicht langweilig. Beginners mind heißt das.
Sicherheit. Nur wenn wir uns sicher fühlen, können wir wirklich in die Hingabe gehen. Ins loslassen, in den Kontrollverlust. Das ist sehr individuell. Jeder hat sein individuelles Bedürfnis an Sicherheit. Der eine sagt: das geht nicht, wenn die Kinder draußen rumspringen, ich bin total gestresst, oder: das geht nicht wenn das Telefon an ist und ich Rufbereitschaft habe. Das kann auch sein, dass man Sex mit jemandem hat und man will erst mal einchecken: hey, wann hast du denn den letzten STI-Test gemacht, oder es braucht ein Gespräch über Verhütung, oder in welcher Beziehungsform bist du eigentlich. Oder, oder. Das man das klärt. Oder: ich will heute nicht an meiner Brust berührt werden, oder ich will keinen penetrativen Sex haben. Wenn wir das abgeklärt haben, haben wir plötzlich einen sicheren Rahmen und können uns reinentspannen. Sicherheit wirkt sich sofort auf unser Nervensystem aus, vor allem auf den Parasympathikus. Wenn der aktiviert ist, wenn wir uns sicher fühlen, kommen wir in diese Mobilization rein, in diese Körperlichkeit. Dann kommen wir viel eher in diese Orgasmicness rein. Bis hin zu diesem ekstatischen Glückszustand. Das brauchen wir in der Sexualität, das brauchen wir auch für Geburten. Das hat alles mit den Nerven zu tun. Das Gefühl von Sicherheit ist nicht zu unterschätzen. Sehr spannend, weil es unglaublich individuell und unglaublich unterschätzt ist.

I: Sicherheit ist allgemein so ein Gefühl: bei Sex, Geld, Beziehungen, ein Grundbedürfnis.

B: Wenn wir uns nicht sicher fühlen, switcht es um in Fight or Flight., in den Überlebensmodus. Viele von uns sind im Großteil der Zeit in diesem Modus. Unsere Organe werden sehr krass beansprucht, Es geht auf unser Immunsystem, und wenn es noch schlimmer wird gehen wir irgendwann auch in den Freeze-Zustand. Das heißt, unser System friert ein. Das ist auch der Zustand, wenn ein Trauma passiert. Von dort heraus zu agieren ist unmöglich oder sehr schwer. Gerade heute ist es wirklich wichtig dass wir Acht geben, dass wir uns sicher fühlen. Was brauchen wir dafür? Um diesen Vagusnerv schön zu stabilisieren, damit wir uns in unserem Körper, in unserer Umgebung gut, geborgen und sicher fühlen können?
Kommunikation. Etwas so unterschätztes. Ich soll über Sex reden – aber das ist ja total unattraktiv, das ist ja Liebestötend. Ja, hab ich früher auch gedacht, aber das passiert so oft, dass zwei Leute sexuell sind, der eine macht was, der andere lässt es über sich ergehen weil er denkt: ja, das mag er so gern, und er denkt: naja, ich mach das ja weil sie das so gerne mag, und nach 10 Jahren kommt erst raus, dass keiner das braucht. Ich nenn das aneinander vorbeisexen. Und ich finde, das ist so ziemlich das dämlichste was passieren kann. Warum sollen wir etwas über uns ergehen lassen? Wo wir Schmerzen haben, gestresst sind, uns nicht sicher fühlen? Es ist auch schön voneinander zu lernen. Wenn mein Gegenüber sagt: schau mal, geh mal ein bisschen mehr hier hin, mach mal mehr oder weniger Druck, Geschwindigkeit, das mag ich viel lieber. Dann denke ich: super, jetzt weiß ich viel genauer was ich tun soll und muss nicht die ganze Zeit komisches Rätselraten machen. Da dkommt es drauf an wie wir kommunizieren: Negatives Gerede kommt natürlich nicht so gut an. Immer wieder höre ich von wirklich großartigen Tantrischen Meistern, egal wo auf der Welt: die besten Lehrer in einer Beziehung sind die Frauen. Ihre Frau kann Männer im Thema Sexualität am besten unterrichten. Dazu braucht es eine Frau die den Mund aufmacht, und einen Mann, der bereit ist es reinzulassen. Es anzunehmen, und nicht gleich ein verletztes Ego hat.

I: Thema Tantra: viele haben ein sehr einseitiges Bild, für viele ist es nur Sex. Was ist es noch?

B: Tantra ist eine Lebensphilosophie. Eine Ausrichtung. Sowas wie Yoga oder Buddhismus, es umarmt das ganze Leben. Wenn Tantra ein Wald ist, ist das Thema Sexualität ein Blatt in diesem Wald. Tantra-Massage ist ein anderes Blatt in diesem Wald, und dann gibt es noch diese Milliarden andere Blätter. Das ist wirklich: nach Hause in meinen Körper kommen. Bewohne ich meinen Körper wirklich. Bin ich in der Lage meinen Körper zu kontrollieren, pflege ich ihn gut. Die Kontrolle über meine Gedanken zu bekommen. Meistens kontrollieren uns die Gedanken – und es geht darum, dass wir dort sind, wo unsere Gedanken sind, und dass wir anfangen sie zu kontrollieren. Dass wir uns unsere Schattenseiten anschauen. Unsere unbewussten Muster, die wir immer wieder ablaufen lassen. Wir sind immer wieder in der Vergangenheit, in der Zukunft, es geht darum, in die Gegenwart zu kommen, uns mit den Elementen zu verbinden. Uns mit Schuld. Scham, Ekel, Wiederstand auseinanderzusetzen. Es ist im Endeffekt ein Weg zu uns nach Hause. In meinen Augen der liebevollste und bedingsungsloseste Weg, den ich bisher ausfindig machen konnte. Es gibt keine Dogmen, es gibt keine Regeln. Jeder Mensch ist individuell, und jeder tantrische Meister geht superindividuell auf jeden einzelnen Schüler ein. Da ist so viel Liebe, so viel Wohlwollen. In den 70er, 80er Jahren hat Oshun den Tantra so bisschen an den Westen angepasst. Er hat Sexualität hochgeholt und angefangen, viel mit Sexualität zu arbeiten, was auch großartig war. Aber der Westen hat fast nur das aufgenommen.

I: Was kann ich mir unter deinen Workshops vorstellen, was lern ich da?

B: Die Handwerksabende und Handarbeitsarbeitsabende – das sind meine Tupperwearparties, wie ich es liebevoll nenne. Tantra-light-variante. Es gibt so  viele Menschen in der Gesellschaft, die sind sehr unglücklich – die merken: da stimmt was nicht, , sie hätten gern was anderes, aber trauen sich nicht so richtig. Vielen macht Tantra Angst. Wenn man von Trantra-Massage spricht, denken viele Leute an Prostitution, an schmuddelige Erotikmassagen. Das hat sich in den letzten 5 Jahren sehr geändert. Aber viele haben immer noch Angst davor und denken sie müssen sich gleich nackig machen oder so. Aber in diesen 3 Stunden bleiben alle angezogen, die Leute dürfen Fragen stellen, keiner muss irgendwas sagen, fragen, es ist ganz vorsichtig. Ich erkläre dann die tantrische Intimmassage. Und ich gehe auf ganz viele Dinge ein, auf die ich hier auch schon eingegangen bin. So ein Türöffner, dass viele plötzlich merken: oh, da ist ja noch mehr, und wow, ich will mich selber kennenlernen.

I: Die Gebärmutter. Was für eine Kraft für eine Frauen die Gebärmutter haben kann?

B: Mein absolutes Lieblingsthema. Ich beschäftige mich schon eine Weile mit meiner Gebärmutter. Und je weiter ich reingehe, desto größer wird es, desto unfassbar genialer, abgefahrener, größer, magischer wird das alles. Im Endeffekt ist unsere Gebärmutter der Eingang zum Kosmos, zum Universum, in eine andere Dimension, in die Einheit zum Göttlichen, wie auch immer man das nennen mag. Das erfahre ich so, ich kenne ganz viele andere Menschen, die die gleiche Erfahrung gemacht haben, Das kann man auch bei tantrischen Lehrern etc erfahren. Die Cervix, der Gebärmutterhals, ist der Eingang, das ist die Pforte zwischen Hell und Dunkel, zwischen Geist und Materie, Leben und Tod. Ich finde das Wort Gebärmutter wie viele andere auch nicht gut gelungen, weil es reduziert dieses Organ nur aufs gebären. Aber es kann so viel mehr. Die Gebärmutter ist wie unsere innere Lehrerin, unser inneres Orakel. Wir können mit ihr in Kontakt gehen, und wir bekommen Antworten. Wir bekommen Visionen. Wir können ganz viel Lust über den Gebärmuttermund und den hals bekommen, wir können Orgasmen bekommen. Die sind ganz anders als die ganzen anderen Orgasmen, die wir sonst bekommen. Es ist unser Lustzentrum. Wenn eine Frau Bewusstsein in die Gebärmutter, in die Zervix hineingebracht hat, wenn sie in der Lage ist zu fühlen, bei vielen Frauen ist das taub, die können es nicht fühlen, Wenn es taub ist, dann heißt es, da ist Traum drinnen. Das kann von ganz unterschiedlichen Sachen kommen: unachtsame Penetration, eine Abtreibung, traumatische Geburt, sexueller Missbrauch, Epigenise: solche Dinge wie die Oma, die im Krieg vergewaltigt wurde. Kann sein, dass wir das bei uns im Schoß mit uns herumtragen. Es können Dinge aus unserer Kindheit sein. Ein Schreck, Angst, und es hat sich bei uns im Schoßraum abgelagert. Dann kann es taub werden. Die gute Nachricht: wir können das rausholen. Entpanzern. Wenn wir in der Lage sind den Gebärmutterhals zu fühlen, dann ein liebevoller, bewusster, entspannter Penis in uns eindringt, ein Mann, der wirklich sich daran erinnert, dass sein Penis ein Liebesorgan ist, der wirklich ganz viel Bewusstsein hat, dann kann man spüren, wie der Muttermund und die Eichel sich küssen. Das ist eines der allerschönsten Sachen, die ich je gefühlt habe. Das ist eine ganz andere Form von Sex als das was wir kennen. Weil wir diesen Eingang zum Göttlichen, zum Universum in uns tragen, behaupte ich immer, haben es Männer so gern ihren Penis in unserer Vagina. Weil sie über den Cervix, über die Gebärmutter, mit rückanbinden können. Sie stöpseln sich an, darüber können sie sich rückanbinden. Rückanbinden heißt auf latein religare – Religion kommt von Rückanbinden. Für mich ist das die heiligste Form von Religion, die wir praktizieren können. Es ist der einfachste Weg. Wir alle haben einen Körper: wir müssen uns nur daran erinnern. Wir brauchen keine Institution Kirche, keine Gurus, Priester, sonst was. Wir können das alle alleine. Das ist kein Wunder und kein Zufall, dass die ganzen großen Weltreligionen, die alle patriarchal geprägt sind und diese ganzen Politiker, die größtenteils männlich sind, so sehr gegen Körperlichkeit, gegen Weiblichkeit sind, gegen Sexualität sind. Der Weg in die Einheit, der ist in uns drinnen, der ist super leicht. Aber wenn man das verbietet, wenn man anfängt das zu kontrollieren, dann gehen wir oft in Schuldgefühle. Und in Scham. Dann sind wir kontrollier- und manipulierbar. Das ist natürlich sehr lukrativ für Institutionen, Kirchen, etc. und für Politiker. Weil wo kämen wir denn da hin wenn wir alle selbstermächtigte Menschen wären, die in ihrer Fülle wären.

I: Gefühlt haben wir mehr klitorale Orgasmen als vaginale. Erklärung?

B: Das ist ein Fehler. Es ist nicht korrekt zwischen klitoral und vaginal zu unterscheiden – die Klitoris, das wissen die meisten mittlerweile, ist nicht nur der kleine Knopf, es ist ein richtiges Organ, ein Komplex der bis zu 12 cm lang ist mit Schwellkörpern usw. Fast alle Orgasmen ist immer die Klitoris mit involviert, es sei denn es geht über die Cervix. Die Cervix ist der einzige Orgasmus wo die Klitoris nicht involviert ist. Also Frauen die querschnittsgelähmt sind oder eine Genitalverstümmelung 3./4. Grades haben wo die Klitoris ganz entfernt wurde, sind so nicht mehr in der Lage Orgasmen zu haben – aber über die Cervix geht das schon. Auch Vaginal, wenn es ein Finger, ein Dildo, ein Penis ist, ist es trotzdem auch immer klitoral. Weil es trotzdem weitergeht. Wird immer die Klitoris stimuliert. Es ist wichtig, dass das mal aufgeklärt wird. Man kann ja sagen: ich fange jetzt außen an der Vulva, an der Klitoris an. Es sind tatsächlich zwei Drittel aller Frauen die nur von Außen, über die Klitoris kommen können, und ein Drittel der Frauen können auch kommen, wenn etwas in ihnen ist. Es hat auch damit zu tun, dass die Nervenendigungen in der Vagina nicht trainiert sind. Wenn sie nicht stimuliert werden, werden die zugehörigen Hirnareale nicht stimuliert, nicht aktiviert, und dann feuern die nicht ab. Wenn wir beginnen das zu trainieren, es immer massieren, reinfühlen, reinatmen, dann fangen wir an, es zu trainieren und auszubilden. Wenn wir jetzt Babys mit Penissen haben: das ist ein Penis, der ist nach außen gewachsen. Da ist die Hose dran, die reibt, den kann man viel besser anfassen, dadurch werden viele Nervenendigungen trainiert. Aber in der Vagina, da fassen sich die Kinder in der Regel ja nicht innen drinnen an. Das geschieht dann eher ab der Pubertät. Je nachdem wie oft sie sich innendrinnen berühren oder nicht wird es halt dementsprechend auch stimuliert, aktiviert, ausgebildet. Gleichzeitig spielt der Beckenboden mit rein, wie angespannt oder zu schlaff er ist, wie wird geatmet, wie viel Spannung ist im Körper, bewegt sich die Person, atmet sie, benutzt sie die Stimme, und so weiter und so fort. Wenn man anfängt damit zu arbeiten, kommen die allermeisten auch in der Vagina zum Orgasmus. Da gibt es verschiedene Punkte: die G-Fläche, den A-Punkt, den B-Punkt, die Cervix, es gibt noch einen X-Punkt und den K-Punkt. Das sind im Endeffekt alles Nervenendigungen. Wenn man die schön trainiert, kommt man dazu. Das dauert manchmal. Ich habe zweieinhalb Jahre dran gearbeitet bis ich irgendwann gemerkt hab: JETZT bin ich richtig da. Das braucht einfach manchmal Zeit, Geduld, liebevolle Zuwendung. Es passiert nicht in 5 Tagen. Es kann bei einigen vielleicht auch schnell passieren. Aber manchmal dauert es einfach auch länger.

I: Viele kennen den G-Punkt, aber die anderen eher nicht –

B: Ich lerne auch ständig dazu. Den X-Punkt hab ich selber auch noch nie gefühlt. Da hat mir meine Lehrerin davon erzählt und ich hab viel probiert, es ist ein großes Fragezeichen. K-Punkt, da hatte ich einen Profi, der wusste genau wo der Punkt ist, der hat mir da eine dreistündige Session gegeben und dann bin ich einmal damit in Kontakt gekommen. Ich geh dann auch wirklich zu Profis, bitte um Hilfe und Unterstützung, und irgendwann bin ich dann selber in der Lage das weiterzuentwickeln.

I: Was bietest du an

B: die kleineren 2-3 Stunden Workshops gebe ich online, die größeren wie Tantra-Massage Ausbildung oder Out of the box, da spielen wir mit den Themen Langsamkeit, Beginners mind und Spielen mit den Elementen Tantra Kink und BDSM, ausprobieren, erkunden und forschen. Jetzt gibt es ein Gebärmutter-Training, unfolding the womb, wo es zwei Online coachings mit mir gibt, 4 Online workshops und dann gehen wir im Juli für eine Woche nach Norditalien in ein Bergdorf zu einer Kollegin von mir, da gehen wir dann eine Woche wirklich in die Tiefe mit Medizinwanderung, Erdsauna und so. Wir arbeiten mit Schamanismus und Medizin. Darauf freue ich mich sehr. Und dann hab ich noch die kleinen Workshops wie unfolding the wild feminine, einmal im Monat gebe ich dann einen Workshop für Frauen, oder Menschen mit Brüsten, Vulva, Vagina und Gebärmutter. Zwischendrinnen hab ich immer wieder Experimente: neulich hatte ich mit einem Kollegen einen Onlineworkshop, „better sex“. Den werden wir wahrscheinlich bald wieder geben.  

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